Heft 
(1894) 82
Seite
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Deutsche Rundschau.

Weiert, hinter den Bergen von Kamart versunken, hatte sich vom Meere eine leise Brise erhoben, die, immer mächtiger schwellend, dem Südwind Schweigen geboten. Mit den ersten Wellen dieses nördlichen Luftzuges war ein erfrischen­der Hauch durch die Natur gegangen. Wie aus einem Fiebertraume erwacht, den lavagleichen, körnigen Ueberzug, unter dem sie feit Tagen geschmachtet, von allen Poren schüttelnd, erhoben die Pflanzen ihre Häupter. Halb ver­welkte Blüthen entrollten sich aufs Neue, und all' die ängstlich geschlossenen Kelche öffneten sich schon zur Dämmerstunde, in Erwartung des ersehnten lang entbehrten Nachtthaus.

Ueberall fing das Leben sich zu regen an. Draußen auf der Landstraße wurde der trippelnde Hufschlag von Eseln und Maulthieren laut. Auf dem Hofplatze versammelte sich die arabische Gärtuersfamilie um die Abendmahl­zeit, deren aus dem thöneruen Gefäß aufsteigender Geruch die Hunde herbei­gelockt. Der sardische Kutscher begann den Wagen zu waschen, nachdem er vorher Gesicht und Hände im Eimer gekühlt. Salem, der Koch, machte sich aus den Weg ins Dorf, um im Kaffeehause am Meer mit dem Hofzwergen des Bey eine Partie Dame zu spielen. Und der Negersunge aus der Küche stahl sich zu dem antiken Marmorbeckeu hinterm Hause, wo er die Wonne eines heimlichen Bades zu kosten hoffte.

Seit bald zwei Monaten hatte sich unser Leben in dem engen Rahmen jener Hofmauern abgesponnen. Nur des Abends, um eben jene Sonnenunter­gangsstunde, wurde das Freie gesucht und auf dem Rücken einer trägen Eselin der Weg zum Meere eingeschlagen. Wenn bei einbrechender Dunkelheit das müde Saumthier uns unter dem Mimosenbaum am Rosenthor absetzte, dann war der Augenblick gekommen, wo wir, nach der eintönigen Stille des Tages ein wenig Zerstreuung und Erheiterung suchend, bei einer Nachbarsamilie vor­zusprechen pflegten.

In der ersten Zeit unseres Aufenthalts in dem maurischen Palaste an der Landstraße von Marsa hatten wir uns in den gewölbten Kuppelzimmcrn mit ihren dicht vergitterten Fenstern, inmitten des weitläufigen mauer­umschlossenen Gartens wie in einer Einsiedelei gefühlt. Lag doch der Landsitz, von Olivenhainen umgeben, scheinbar abseits von jeder menschlichen Be­hausung, etwa eine Viertelstunde Weges vom Schlosse des Bey entfernt. Und diese Sommereinsamkeit, wie sie dem Europäer nach Landessitte unmerklich zur Gewohnheit wird, wäre vollkommen geblieben ohne den täglichen Bedarf nach Nahrung, der überall einen zwingenden Grund bietet, die Außenwelt nicht zu vergessen.

Mit dem Marktkorb aus Palmenblättern drangen die ersten Neuigkeiten in unsere Abgeschiedenheit.

Allmorgendlich in der Frühe wurde der schwarze Koch ins Dorf ge­schickt, um in den kleinen Malteserläden, die dem fürstlichen Schlosse und den Villen der Würdenträger die nöthigen Lebensmittel liefern, auch seine Einkäufe zu machen. Kehrte er dann, wie Kaleb, der alttestamentliche Kund­schafter, beladen mit den Früchten der Jahreszeit, heim, so ließ er es sich nicht nehmen, das Gesehene und Gehörte zum Besten zu geben und uns über Namen und Verhältnisse der näheren und ferneren Nachbarschaft bereitwillig