Heft 
(1894) 82
Seite
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Deutsche Rundschau.

Erzählt, Signora," bitten wir neugierig.

Und erzähle Mutter!" bitten Alfreds und Matilde auf Maltesisch.

Oontats, Naria, eontats xurs," fügt der Alte hinzu.

Seine Zustimmung entscheidet die sich noch ein wenig sträubende Frau. Sie rückt näher heran, auch Alsredo verläßt sein Lager aus der Mauer und setzt sich herzu, zum Horchen bereit. Dann erzählt sie in lebhaftem Italienisch, hie und da mit maltesischen und arabischen Brocken durchwürzt:

Es ist etwa zwölf Jahre her es war um die Zeit, wo die Türken in Stambul gegen die Russen Krieg führten da lebte in Tunis ein Hamal oder Lastträger genannt, Si Salah es Srir, der verdiente sein Brot sauer und in Ehren mit seiner Arbeit. Eines Tages, da die Sonne ihm be­sonders heiß aus den Nacken gebrannt, hatte er sich um die Stunde des Abend­gebets der Muselmänner auf eine steinerne Bank neben der großen Moschee gesetzt. Da überwältigte ihn die Müdigkeit, und er schlief sanft ein. Er mochte einige Zeit geschlafen haben, denn es war inzwischen die Dämmerung hereingebrochen, als ihn eine Hand mit sanftem Schütteln weckte, und eine männliche Stimme in fremdländischer Mundart zu ihm sagte:

Hamal, bist Du zur Arbeit bereit?"

Noch halb verschlafen erhob sich Si Salah, rieb sich die Augen und er­blickte vor sich einen mageren Mann in grauem Gewand, der die Kapuze des Burnus tief übers Gesicht gezogen hatte, trotz des warmen Abends.

Bist Du zur Arbeit bereit," wiederholte der Unbekannte,dann folge mir, ich bezahle gut."

Der Hamal, in Erwartung eines guten Arbeitslohns, ergriff eilig sein Tragseil und seine Pantoffeln, hing den Mantel über die Schulter und folgte dem vorausschreitenden Fremden.

Dieser schlug den Weg durch abgelegene Straßen ein, die volkreichen Bazare und Märkte vermeidend, durcheilte den Hammelmarkt, die Siebmachergasse und wandte sich zur Linken in die obere Stadt. Endlich, nach längerer Wanderung durch allerlei Kreuz- und Quergassen, die der Hamal nur selten betreten, ge­langten sie in eine enge und schmutzige Straße, die diesem völlig unbekannt war. Vor einem niedrigen Hause blieb der Fremde stehen, zog aus der inneren Tasche seines Gewandes, das von dem Schnitte war, wie es die Türken zu tragen Pflegen, einen Schlüssel und steckte ihn in das Thürschloß. Ehe er jedoch geöffnet, drehte er sich zuvor nach dem Lastträger um und sprach:

Ziehe den Zipfel deines Burnus über die Augen. Mein Harem ist im Hose, und du möchtest sehen, was keines Mannes Auge schauen darf."

Si Salah, als guter Muselmann, folgte willig diesem Befehl, zog den Mantel ins Gesicht, streifte die Schuhe von den Füßen und trat dann, dem vorangehenden Fremdlinge nach, durch das Thor. Drinnen befand er sich in einem langen, dunkeln Gange. Jener schritt immer voraus und führte durch eine Reihe leerer Gemächer den Lastträger in einen offenen Jnnenhos, wo er ihn mit den Worten stille stehen hieß:

Warte ein Weilchen. Ich will die Last holen, die du forttragen sollst. Doch erhebe beileibe die Augen nicht, denn mein Harem ist im Hose."