Heft 
(1894) 82
Seite
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Deutsche Rundschau.

Nordamerikas dieses Land, das eigentlich gesetzlich eine Goldwährung hat, that- sächlich mit silbernen Zahlungsmitteln überschwemmt war, welche kraft des miß­bräuchlichen Einflusses der Silbermänner in Amerika Geldcharakter trugen. Da Niemand mit gutem Gelde zahlt, wo er mit schlechtem zu zahlen berechtigt ist, so überwog im internen Verkehr Amerika's das Silber, und das Gold wurde nach Möglichkeit an das Ausland abgegeben. Während das amerikanische Gold in Strömen aus dem Londoner Markte mündete, warf die russische Rubelpolitik gleich­zeitig frei werdende Goldmassen aus die europäischen Plätze. Es dauerten also in dieser Bewegung einerseits die von uns schon öfter besprochenen Momente fort, welche in Folge der Geschäftsstelle einen Geldüberfluß erzeugten, und es traten gewisse Vorgänge des Münzmarktes hinzu, welche den bereits vorhandenen Geldüberfluß noch in ganz auffallendem Maße vermehrten. War schon früher bares Geld zu immer billigeren Zinssätzen zu haben, so sank jetzt der Discont aus geradezu lächerlich geringe Sätze herab. Während aber früher die Capitalisten in einem gewissen Gefühl der Un­sicherheit sich immer mehr zu den sichersten Verwahrungsstellen herandrängten und sich mit einem immer geringeren Zinsfuß begnügten, trat jetzt bei einem Theile derselben ein Rückschlag ein, und sie suchten, um ihre Einnahmen endlich zu erhöhen, Papiere mit höherem Zinsfuß, d. h. Speculationspapiere, zu erwerben. Dieses Andringen aus Speculationspapiere, welches mit steigender Nachfrage auch den Cours steigerte, hatte seinen Hauptsitz in Wien. Hatte hier einmal eine Cours­steigerung begonnen, so war das leichtlebige Temperament der österreichischen Be­völkerung nur geeignet, immer weitere Kreise daran theilnehmen zu lassen. Große und kleine Leute drängten sich in gleicher Weise heran. Sprichwörtlich wurden der Zählkellner und das Stubenmädchen, die an der Börse speculirten. Der öster­reichischen Hauptstadt that es bald die ungarische gleich, und die Steigerung aller Werthe diente nach außen hin noch als Glorienschein für die Valutareform, welche Oesterreich-Ungarn noch immer durchzuführen hat. In den ersten Stadien dieser Bewegung beobachtete die Berliner Börse eine kühle Zurückhaltung. In der nüch­ternen Erwägung, daß für die Wiener Courstreibereien kein vernünftiger Grund zu finden sei, antwortete man aus die höheren Coursnotirungen damit, daß man Papiere zu dem gewünschten Course nach Wien abgab, d. h. es bildete sich gegen die Wiener Hausse in Berlin eine Contremine als Baisse-Partei. Aber jedes Vor­gehen der Contremine wurde in Wien mit einer noch höheren Steigerung der Course beantwortet, welche noch weitere Kreise der Bevölkerung mit Vertrauen erfüllte und noch größere Capitalien herbeizog, bis schließlich der Rückschlag auch in Berlin eintrat und den Elementen, welche zum Steigen der Course Zutrauen hatten und Anderen Zutrauen beizubringen beflissen waren, auch hier die Oberhand gab. In diese Stimmung fielen einige reelle Ereignisse, welche in der That den Geld­markt nach oben hin zu beeinflussen geeignet waren. Während seit Jahrzehnten das Silber im Rückgang begriffen und in der letzten Zeit geradezu ein Silbersturz eingetreten war, eröffnete der Krieg, welcher in Asien zwischen zwei Staaten mit Silberwährung ausgebrochen war, dem Silber für den Kriegsbedarf dieser Staaten einen neuen und plötzlich wachsenden Markt. Als im Fortgang des Krieges der Sieg der Japaner immer deutlicher wurde, steigerte die Hoffnung auf die Er­schließung China's für den Bau von Eisenbahnen und für die Einführung euro­päischer Erzeugnisse aller Art den Werth aller bestehenden industriellen Unter­nehmungen. Die sibirische Eisenbahn, größer als irgend ein europäisches Eisenbahn­unternehmen, mußte einer ganzen Anzahl europäischer Geldmärkte eine Betheiligung an den bevorstehenden Anleihen sichern. Wir sind weit entfernt, diese Momente zu unterschätzen. Wir haben dies an dieser Stelle vielmehr früher und energischer betont, als die Börsenblätter jvergl. Aprilheft S. 134 , Octoberheft S. 143 / 44 ). Aber Kriegsbedürfnisse, wie sie jetzt in Ostasien auftauchen, sind stets nur vorüber­gehender Natur. Siegt Japan, so hat es ein Interesse daran, seinen Sieg nicht bis zur völligen Niederwerfung China's auszunutzen, sondern sich noch immer in