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Deutsche Rundschau.
und 1 Procent an, so ergibt dies für die 6 bis 7 Milliarden 4procentiger Schulden im Reiche und in den Einzelstaaten eine Zinsersparniß, deren Gesammt- betrag zwischen 30 und 70 Millionen sich bewegt und nach der höheren Ziffer, ja sogar möglicher Weise über dieselbe hinaus getrieben werden kann, wenn die -ll/s procentige Rente gleichfalls herangezogen wird.
Hierin liegt die Antwort auf den festen und siegesbewußten Widerstand, welchem die erneute Tabakssteuer-Vorlage begegnet. Eine Steuer, welche nichts Anderes für sich geltend machen kann, als ein Finanzbedürsniß, hat wenig Aussichten in einer Zeit, in welcher die Entwicklung des Geldmarktes dem Reiche und den Einzelstaaten weit größere Gewinne gewissermaßen auszwingt.
Die letzten Winter haben in den großen Städten regelmäßig einen Nothstand herbeigeführt, und man sängt allmälig an, die Fürsorge dagegen als wiederkehrende Verwaltungsausgabe zu betrachten. Der Hamburger Senat hat, und zwar mit dieser Motivirung, bei der Bürgerschaft einen Credit von 200 000 Mark beantragt, um die Planirung des Heiligengeistfeldes, welches eine Fläche von 3^2 Millionen Quadratfuß deckt, je nach dem Umfang des eintretenden Nothstandes schneller oder langsamer, auszusühren. Das extreme Gegenbild freilich zeigt uns die Stadtvertretung von München, wo man sich weigerte, zur Einrichtung einer Wärmestube, für deren Heizung und sonstige Verwaltung die Geldmittel bereit waren, aus der Stadtkasse auch nur die Kosten für das Local herzugeben, obgleich der Armenpflegschastsrath einen eigenen Antrag hierfür einbrachte und als nothwendig befürwortete. In den Kreisen Derer, die sich sachmäßig mit Nothständen irgend welcher Art beschäftigen, wird die Ansicht immer allgemeiner, daß die regel- und zügellose Privatwohlthätig- keit keineswegs mehr im Stande sei, dieser Dinge Herr zu werden. Zur Bekämpfung des Bagabondenthums, welches bei zunehmender Arbeitslosigkeit im Winter die Städte überschwemmt, besitzen wir fast überall im Reiche Natural- verpslegungs-Stationen, welche von eigenen Vereinen unterhalten werden. Jeder Arbeitslose, der sich aus der Station am Nachmittag meldet, erhält unentgeltlich Abendessen, Nachtquartier und Frühstück, sowie Gelegenheit, sich nach Arbeit umzu- seheu, und muß dann nach Einnahme eines Mittagessens suchen, zur nächsten Station zu kommen. Mit diesen Stationen glaubt man eine sichere Verpflegung der Arbeitslosen zu beschaffen und desto kräftiger der Bettelei entgegentreten zu dürfen. Hier zeigt sich nun recht deutlich, wie hoffnungsvolle Anläufe und plötzliches Nachlassen privater, d. h. zufälliger Thätigkeit wirken. Vor einigen Jahren wurden im Kreise Lübben in der Mark Naturalverpslegungs-Stationen eingerichtet, und eine Polizeiverordnung des Landraths stellte das Verabreichen von Almosen unter Strafe. Die Stationen gingen aber eine nach der andern ein, nnd statt jetzt jene Verordnung aufzuheben, brachte der Landrath aus Besorgniß, daß nunmehr die Vagabondage wieder zunehmen würde, jenes Verbot des Almosenverabreichens noch ausdrücklich in Erinnerung. Zwar stimmen wir der Zeitungsopposition, welche sich Monate lang mit dem Lübbener Landrath beschäftigte, in ihren Gründen durchaus nicht zu. Es ist keineswegs richtig, daß Almofenverabreichen stets eine moralische Handlung sei, welche unter keinen Umständen unter Strafe gestellt werden dürfe, und am allerwenigsten darf dies in einem Staate behauptet werden, welcher das Almosen erbitten immer und ausnahmslos bestraft. Wir sind aber der Ansicht, daß der Lübbener Landrath und seine journalistischen Gegner, die enthusiastischen Begründer der Naturalverpslegungs-Stationen und Diejenigen, welche sie, ohne Ersatz wieder eingehen lassen, sich allesammt in demselben Jrrthum befinden. Begründet man Verpflegungsstationen, bloß, um sich den Bettel vom Halse zu halten, will man im Falle ihrer Aushebung den Bettel mit erneuter Strenge bekämpfen, oder will man endlich mit moralischer Gebärde sich das Recht, seiner Weichherzigkeit jedem Bettler gegenüber nachzugeben, nicht rauben lassen, — in