Heft 
(1894) 82
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Deutsche Rundschau.

die Familie oder das Eigenthum durch beschimpfende Aeußerungen öffentlich an- greist. Hier wird der Streit der Parteien sicherlich am Lebhaftesten entbrennen; auch wird es daraus ankommen, zu verhüten, daß durch allzu dehnbare Bestimmungen der Willkür in der Gesetzesanwendung Vorschub geleistet werde.

Spiegelt der auf die innere Politik bezügliche Theil der Thronrede mancherlei Sorgen und Bedenken wieder, die sich, wie in den übrigen Ländern, auch in Deutschland an die Entwicklung aus socialem und wirthschaftlichem Gebiete knüpfen, so bleiben die Aspecten für die auswärtige Politik nach wie vor friedlich. Kaiser Wilhelm II. konnte daher mit lebhafter Befriedigung betonen, daß die Zuversicht in die Erhaltung des europäischen Friedens in den letzten Jahren neue Kräftigung erfahren habe, und daß Deutschland, getreu dem Geiste seiner Bünd­nisse, mit allen Mächten gute und freundliche Beziehungen Pflege. In pietätvoller Weise wurde auf die erschütternden Ereignisse hingewiesen, von denen Frankreich und Rußland, das eine durch die Ermordung des Präsidenten der Republik, Carnot, das andere durch das Hinscheiden des Kaisers Alexander III., betroffen worden sind. Wie Deutschland sich aufrichtig der allseitigen Theilnahme angeschlossen hat, die von Neuem sür die Solidarität menschlicher Gefühle und friedlicher Wünsche Zeugniß ablegt, konnte Kaiser Wilhelm II. im Hinblick auf den verstorbenen Zaren auch der Trauer um einen Freund und bewährten Mitarbeiter an den Werken des Friedens Ausdruck leihen. Mögen diese den thatsächlichen Verhältnissen ent­sprechenden Friedensversicherungen auch für Deutschlands innere Politik vorbildlich werden, so daß in dem neuen Reichstagshause, das, von Meister Wallot herrlich errichtet, Deutschlands Ruhm verkünden soll, der Geist der Versöhnung und das erhebende Bewußtsein vorwalte, wie aus der Zersplitterung der deutschen Stämme deren unverletzliche Einheit hervorgegangen ist! Müssen doch hinter diesem stolzen Gefühle alle die kleinlichen Gegensätze weit zurückstehen, die im Streite der Parteien leider nur zu oft aufgebauscht und als das Wesentliche betrachtet werden.

Wie feste Wurzeln überall in Europa das Bewußtsein gefaßt hat, daß die Ausrechterhaltung des Friedens gesichert sei, zeigte sich unlängst bei Gelegenheit des durch einen Theil der französischen Presse hervorgerufenen Zwischenfalls, in den die Person des Kriegsministers, General Mercier, hineingezogen wurde. Im Anschlüsse an die vor einiger Zeit vollzogene Verhaftung des des Landesverrates angeschul­digten Kapitäns im französischen Generalstabe Dreyfus wurden von verschiedenen Pariser Blättern die in Frankreich den Botschaften und Gesandtschaften beigegebenen Militärattaches im Allgemeinen und die bei der deutschen Botschaft insbesondere bezichtigt, systematisch Spionage zu betreiben. Im Zusammenhangs mit diesen grundlosen Anschuldigungen wurde die französische Regierung aufgefordert, die Ein­richtung der Militärattaches überhaupt zu beseitigen und solche weder im eigenen Lande zuzulassen noch ins Ausland zu entsenden. Offenbar hatten die Blätter, die sich in diesem Sinne vernehmen ließen, auch nicht die geringste Vorstellung von der wirklichen Bedeutung und Wirksamkeit der für solche Missionen verwendeten Officiere. Allerdings müßte gerade in Frankreich noch die Erinnerung an den französischen Militärattache in Berlin, Oberstlieutenant Baron von Stoffel, lebendig sein, der vom Jahre 1866 bis in den Juli 1870 über die Entwicklung des deutschen Heerwesens in der sachkundigsten Weise nach Paris berichtete. Weit entfernt, den chauvinistischen Bestrebungen Vorschub zu leisten, die damals am fran­zösischen Hofe gepflegt wurden und in der Kaiserin Eugenie eine eifrige Gönnerin fanden, warnte der französische Militärattache vor einer Unterschätzung des preußischen Heeres, so daß, falls diefe Warnungen beherzigt worden wären, Napw löon III. die Katastrophe vermieden hätte, von der Frankreich und das kaiserliche Haus betroffen wurden. Nur darf daran erinnert werden, daß ein Theil der Berichte nach dem Sturze des Kaisers in den Tuilerien noch versiegelt aufgesunden wurde. Der später veröffentlichte militaii-o oeeit cko Loi-tin" müßte aber

auch heute noch in den Augen eines jeden denkenden Franzosen vollgültiges Zeugniß