Heft 
(1894) 82
Seite
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Politische Rundschau.

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der Vatikan, von der bereits in französischen Organen gegenüber derjenigen der europäischen Centralmächte die Rede war, noch gute Wege hat. Inzwischen ist im Anschlüsse an die Aeußerungen des Leiters der auswärtigen Politik Englands, Lord Rosebery, nach denen eine Annäherung Großbritanniens an Rußland in Aussicht stehen sollte, eine neue Kombination aufgetancht.^nglelerre, 1lu88i6, b'raneo?' uberschreibt der PariserTemps" am 8. December seinen Leitartikel, in dem die Möglichkeit eines Einvernehmens der beiden Westmächte und Rußlands erörtert wird. Der Reise des Prinzen von Wales an den russischen Hos wird gewisser­maßen die magische Wirkung zugeschrieben, tiefgehende Gegensätze, die bisher für unversöhnlich erachtet wurden, ausgeglichen oder doch dem Ausgleiche nahe gebracht zu haben.

In Deutschland, sowie in den mit diesem durch die abgeschlossenen Bündnisse vereinigten Monarchien würde es sicherlich mit Genugthuung ausgenommen werden, falls die von der Tripelallianz als hauptsächliches Ziel angestrebte Ausrechterhaltung des europäischen Friedens in dem guten Einvernehmen der übrigen Großmächte weitere Bürgschaften erhielte. Vom realpolitischen Gesichtspunkte aus darf aber nicht verschwiegen werden, daß England jetzt ebenso wenig wie früher in der Lage ist, an eine längere Dauer gebundene Allianzen zu schließen. Wie oft auch früher davon die Rede war, daß England mit Rücksicht auf seine Interessen im Mittel­ländischen Meere, die durch Frankreich und Rußland gefährdet werden könnten, mit dem Dreibunde, insbesondere mit Italien innigere Fühlung gewinnen sollte, wurde doch gerade von englischer Seite geltend gemacht, daß die parlamentarische Regierung in England nicht ermögliche, dauernde internationale Verpflichtungen zu übernehmen. Man wird daher nicht bei der Annahme fehlgehen, daß das Cabinet Rosebery, nach­dem es aus Anlaß des Krieges zwischen China und Japan mit seinen auf eine Intervention der europäischen Mächte abzielenden Vorschlägen Fiasco gemacht hat und insbesondere auf den Widerstand Deutschlands gestoßen ist, einen Frontwechsel vollziehen möchte. Liegt doch die Gefahr nahe, daß der chinesisch-japanische Conflict eine den englischen Interessen ungünstige Lösung finden könnte, und dem soll durch eine Annäherung an Rußland wohl vorgebeugt werden. Wenn jedoch von einer Jsolirung Deutschlands die Rede ist, so ist völlig unerfindlich, welchen Anstoß gerade die deutsche Politik daran nehmen sollte, daß im fernen Orient ein Zusammen­prall zwischen Großbritannien und Rußland vermieden wird. Glaubt die englische Regierung ihre Position in Indien und im übrigen Asien durch das Zusammen­gehen mit Rußland besser wahren zu können, so werden skeptische Beurtheiler in Deutschland und anderwärts vielleicht an der Weitsichtigkeit einer solchen Politik zweifeln; allein von einer Jsolirung Deutschlands, das nach wie vor an dem Dreibünde sesthält, kann deshalb sicherlich nicht die Rede sein. Die Vorgänge in Siam haben überdies gezeigt, daß England sich in Asien nicht bloß mit Rußland, sondern auch mit Frankreich auseinandersetzen muß.

Ebenso wenig einfach liegen die Verhältnisse am Mittelländischen Meere. Sicherlich versteht derTemps" dort unter einerentonte" mit England, daß dieses auf feinen maßgebenden Einfluß in Aegypten verzichte, während die liberalen englischen Staatsmänner ebenso wenig wie die konservativen daran denken, in absehbarer Zu­kunft die Truppen aus Aegypten zurückzuziehen. Sollte es trotz dieser widerstreiten­den Interessen gelingen, eine Annäherung zwischen Frankreich und England herbeizu­führen, so würde dies in Deutschland keinerlei Verstimmung erzeugen. Der Vor­wurf, der gegen England von deutscher Seite zu wiederholten Malen erhoben worden ist, bezog sich nur darauf, daß es in Colonialangelegenheiten, weit entfernt, Ent­gegenkommen an den Tag zu legen, der Reichsregierung regelmäßig Schwierigkeiten zu bereiten suchte. Es mußte daher überraschen, daß dasselbe englische Cabinet, das auf die berechtigten Anforderungen Deutschlands immer nur, der Noth ge­horchend, einging, von diesem gute Dienste verlangte, zu denen die Reichsregierung sich auch unter anderen Verhältnissen nicht hätte bereit finden lassen können. Mag

Deutsche Rundschau. XXI, 4. 10