Literarische Rundschau.
Briefe von Gregorovius.
^Nachdruck untersagt, j
Brrefe von Ferdinand Gregorovius an den Staatssecretar Hermann von Thile.
Herausgegeben von Herman von Petersdorff. Mit einem Bildniß von Ferdinand
Gregorovius. Berlin, Gebrüder Paetel. 1894.
Der intime Gedankenaustausch zweier bedeutender Männer, von denen der eine den Büchern und Studien gelebt, der andere sich in wichtigen Staatsgeschäften hervorgethan hat, kann nicht anders als in mannigfacher Hinsicht anziehend und belehrend sein, und dies um so mehr, wenn er, wie hier, über eine Reihe von Jahren reicht, die für sich allein schon ein Stück Geschichte ausmachen. Wir erhalten in diesem vorzüglich aus gestatteten Bande zwar nur die Briese von Gregorovius ; aber man gewinnt auch aus ihnen das deutliche Bild einer lebhaft geführten Unterhaltung, und sie dürfen außerdem, nach der Stellung ihres Verfassers, ein selbständiges literarisches Interesse beanspruchen.
Der Empfänger der Briefe, Herr von Thile, während der denkwürdigen Jahre 1862—1872 als Unterstaats- und dann Staatssekretär ein Mitarbeiter Bismarck's, war zuvor, von 1854—1858, preußischer Gesandter in Rom und Frau von Thile die Schwester des berühmten Augenarztes Albrecht von Graese, der, selber ein Leidender, dennoch bis an sein frühes Ende nicht aufgehört hat, die Leiden Anderer zu lindern. Die Trauerkunde von seinem Tode ging fast unter in dem Waffenlärm des beginnenden deutsch-französischen Krieges; aber ein Standbild im Charitagarten zu Berlin erinnert jetzt an den „Heiland des Lichtes", wie Gregorovius der um den Verlust des großen Bruders trauernden Frau von Thile schrieb, und Niemand wird auf dem Jerusalemer Kirchhof ohne Rührung vor dem epheubewachsenen Hügel und Grabstein stehen, der das Relief seines leicht gesenkten, von langem Haar umwallten Antlitzes trägt, mit den Worten des Predigers darüber: „Es ist das Licht süße und lieblich, die Sonne zu sehen". Wir täuschen uns wohl auch nicht in der Annahme, daß es gleichfalls eine Schwester Graefe's und der Frau von Thile sei, die unter dem Pseudonym „Walther Schwarz" das Vorwort geschrieben zu den vom Herausgeber mit orientirenden Anmerkungen und einem guten Register versehenen Briefen.
Indessen, so lesenswerth, geistvoll und schön stilisirt sie sind, der Eindruck, den sie hinterlassen, ist kein ganz reiner. Es geht ein Zug des Zwiespältigen, der Un- besriedigung durch sie hin, der vielfach in nicht eben erquicklicher Weise zu Tage tritt. Gregorovius selbst sagt einmal in diesen Briefen, daß er sich nie für einen Gelehrten gehalten habe, was offenbar nicht die ganze Wahrheit ist; denn man schreibt nicht die Geschichte der Stadt Rom im Mittelälter, ohne daß man ein
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