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Deutsche Rundschau.
beträchtliches Stück Gelehrsamkeit besäße. Dennoch nährt er eine beständige Sehnsucht nach der Beschäftigung mit der Poesie: sobald sein großes Werk gethan, will er . zu den leicht geschürzten Musen zurückkehren"; die Ausführung seiner dichterischen Pläne betrachtet er als den besten Lohn seiner „unter so großen Anstrengungen und Entsagungen durchgesührten Arbeit", und Rom ist ihm der große Stein, unter welchem die gequälten Keime seiner poetischen Natur erdrückt lagen. Wir haben keine Veranlassung, die literarischen Verdienste Gregorovius' hier des Näheren zu würdigen. Sicher ist, daß seine dichterischen wie seine wissenschaftlichen Schriften sich beim Publicum der größten Beliebtheit erfreuten und daß namentlich sein Hauptwerk ihm die höchsten, ungewöhnlichen Ehren zahlreicher Auslagen und der römischen Eivität eingetragen hat. Ebenso sicher aber ist auch, daß ein beträchtlicher und maßgebender Theil der gelehrten deutschen Kritik ihm gegenüber stets eine kühle Zurückhaltung beobachtet hat. Ob mit Recht, ob mit Unrecht — auch das soll hier nicht untersucht werden. Kein Mensch jedoch, der mit Dingen dieser Art nur einigermaßen bekannt ist, wird andere Motive dabei voraussetzen als rein sachliche; der verletzten Eitelkeit, von der man Gregorovius nicht sreisprechen kann, blieb es Vorbehalten, diesen Mangel an Anerkennung aus Mißgunst, Neid und Bosheit abzuleiten. Daher die Verstimmung, die sich an den verschiedensten Stellen dieser Briese, früh und spät, Luft macht wider die „bezopfte Zunft der Kathederprosessoren", „die als feindlich geschlossene Phalanx gegen mich steht", die „gern meine Lebensarbeit todt geschwiegen" hätte, diese „Scharen von Pedanten", diese „banausischen Handwerker"; daher die Bitterkeit, die nicht einmal vor der Ehrfurcht gebietenden Gestalt Ranke's Halt zu machen weiß und Mommsen als Mangel an Urbanität ankreidet, was doch wohl nur der — immerhin sarkastische — Ausdruck seines wohlbegründeten Urtheils gewesen sein wird. In der That, inan muß eine sehr hohe Meinung von sich selbst haben, um eine so geringe von der deutschen Wissenschaft zu hegen.
Auch über die Begegnungen mit hohen Persönlichkeiten und die von diesen dem Briesschreiber zu Theil gewordenen Auszeichnungen wird in einem Tone berichtet, der uns nicht immer gefällt. Entweder man freut sich mit dergleichen und gesteht es offen ein; oder man legt keinen Werth darauf und schweigt davon. Aber sich des Dinges rühmen und dennoch thun, als ob man darüber erhaben sei — z. B. sagen: „Der Großherzog konnte es freilich nicht unterlassen, mir etwas an den Hals zu hängen, was ich dann mit geziemendem Dank zu den anderen Vani- täten gelegt habe," das ist nicht die Sprache der ehrlichen Ueberzeugung. Man möchte stolz erscheinen, und ist doch abermals nur eitel.
Wir haben mit diesen Bemerkungen Gregorovius weder persönlich noch als Schriftsteller herabsetzen wollen. Man kann ein Feind der Professoren und dennoch ein anhänglich treuer Freund seiner Freunde sein, ein eitler und dennoch ein vielseitig gebildeter Mann, der die Gabe kluger Beobachtung und die Kunst, gut zu schreiben, besitzt. Aber wir mußten diesen Borbehalt machen, um weiterhin das wirklich Werthvolle dieser brieflichen Mittheilungen hervorzuheben, die, wenn sie zu den Thatsachen kaum etwas wesentlich Neues beibringen, sie doch überall mit geistreichen Bemerkungen begleiten, wie hübsche Randzeichnungen einen bekannten Text.
Gregorovius kam gerade noch frühe genug, um das „eisenbahnlose" Rom zu sehen, und blieb lauge genug, um von dort, wie „von einer Insel", das Anschwellen der italienischen Einheitsbewegung zu beobachten, den Einmarsch und den Ausmarsch der Franzosen mit zu erleben, den Sturz des Dominium Temporale und die Transformation, durch welche die mittelalterliche Stadt der Päpste zu der modernen Residenz der Könige von Italien ward. Wie richtig sein Urtheil, geht aus einer Briefstelle vom Jahre 1859 hervor: „Mit Tractaten und Kongressen ist diesem Lande nicht zu Helsen; wenn nicht die agrarischen Verhältnisse und der Volksunterricht Reformen erfahren, ist alle politische Veränderung nichts als eben solche." Das paßt genau noch aus das Italien von 1895.