Literarische Rundschau.
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schreitendem Kunstwerk, das nur ein bornirter fachwissenschaftlicher Dünkel mißachten kann, ist oft eine verweilendere und entwickelndere Darstellung gewünscht worden. Endlich liegt sie vor, preisgekrönt als Theil der trefflichen Bettelheim'schen Sammlung „Geisteshelden" und des Preises Werth, eine Arbeit des Muthes und des Könnens. Der Verfasser, Privatdocent an der Berliner Universität, ist einer der begabtesten und vielseitigsten jüngeren Germanisten, von Scherer ausgegangen, aber selbständig fortgebildet, philologisch geschult, aber kein Buchstabenmensch, mit der Literatur vertraut, aber auch mit dem Leben. Die besten Preisarbeiten sind die, die auch ohne Preis und Preisrichter entstanden wären. Meyer hätte seinen „Goethe" gewiß geschrieben, obwohl vermuthlich etwas später und anders, nicht beengt von strengen Gesetzen des Umfangs, wie sie Menzel als Illustrator Friedrich's des Großen durch das Bübchen mit dem Zirkelmaß ausgedrückt hat. Allerlei Inkongruenzen, manchmal ein Hasten, eine Reihe mörtelloser Angaben, ein gewisses Abschnappen entspringen diesem Zwang und unvollkommener Streichkunst, die eigentlich immer völlige Neuschöpfung erheischt. Doch ein Zug vom Einzelnen ins Große, Totale begünstigte von vornherein prägnante Haltung, organische Anlage, indem Meyer Goethe's „Natur" und Goethe's eigene Ansicht von der Spiralität der Bildung zu durchdringen und darzustellen suchte. Er erzählt wenig, gewiß zu wenig, und sollte auch in der Analyse der Werke manchmal mehr berichten als reflectiren, aber was er z. B. über Goethe und Schiller vorträgt, ist geistreich und von allgemeiner Bedeutung, sein Capitel über „Dichtung und Wahrheit" höchst anregend. Den zweiten Theil des „Faust" hat er freier behandelt als den ersten, dessen Pforten hier ein Gestrüpp von Hypothesen ungebührlich überwuchert. Nirgends wird declamirt, und auch die kleinen Steifheiten des Greisenalters kommen neben der ehrfurchtgebietenden Arbeit zur Anschauung. Meyer will Vorzüge und Schwächen der „Eugenie" abwägen, aber auch den Stil der „Iphigenie" nur zweifelnd bewundern. Am besten sind ihm vielleicht die runden Capitel über die Romane gelungen, überhaupt die Abschnitte, in denen ein großes Werk herrscht; am kärgsten ist die Lyrik bedacht . . .
Das Buch macht seinem Urheber und der deutschen Literaturgeschichte Ehre. Es ist fesselnd, persönlich, ohne Manier geschrieben, die Schöpfung eines selbstständigen Kopfes, einer gewandten Hand. Warum hat sich Meyer vom Verleger den abscheulichen Pecht'fchen Theater-Goethe, frei nach Stieler, vorheften und vom Herausgeber der „Geisteshelden" ein eingeklammertes Fragezeichen mitten im Satz gefallen lassen?
Peru.
Peru, Beobachtungen und Studien über das Land und seine Bewohner während eines sünfundzwanzigjährtgen Aufenthaltes. Von E. W- Middendorf. Erster Band: Lima. Mit 21 Textbildern nnd 32 Tafeln. Zweiter Band: Das Küstenland von Peru. Mit 56 Textbildern und 38 Tafeln. Berlin, Robert Oppenheim (Gustav Schmidt). 1893—94.
Ein deutscher Arzt, der nach Ablegung seines Staatsexamens 1854 als Schiffsarzt sich in Hamburg einschiffte, über Australien nach Peru gelangte und hier heimisch wurde, um endlich in Berlin die Erinnerungen aus der Fremde zusammenzu- faffen, veröffentlicht in den vorliegenden, außerordentlich starken Bänden ein breit angelegtes Werk, welches selber in einer längeren Reihe von Jahren entstanden ist. Eine historische Einleitung gibt aus den bekannten Quellen ein Bild der vorauf-