Heft 
(1894) 82
Seite
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Deutsche Rundschau.

gegangenen Jahrhunderte; der weitaus größere Theil behandelt die Gegenwart und beruht auf der Anschauung des Verfassers. Frisch und ansprechend geschrieben, nicht im gelehrten, sondern im behaglicheren Erzählertone, ist dennoch das Werk durch die Menge des Stoffes und die vielerlei trocknen statistischen Zugaben theil- weise mehr ein Nachschlagebuch als ein Buch zum Lesen. Bevölkerung, Kirchen und Klöster, Staatsgebäude, Gerichte, Gesetze und Rechtspflege, die öffentlichen Unterrichtsanstalten, die Verkehrseinrichtungen (Münze, Post, Eisenbahn u. s. w.), die Wohlthätigkeitsanstalten und Krankenhäuser, als Schluß die öffentlichen Ver­gnügungsorte alles Das wird eingehend dargestellt und erinnert in seiner Weise an die älteren Handbücher der Staatenkunde, zum Theil an die neueren Reisehandbücher. Wir zweifeln nicht, daß bei dem Mangel anderer Literatur über das merkwürdige Land durch das neue Werk eine Lücke ausgefüllt wird. Wir hätten nur gewünscht, daß der Herr Verfasser bei der Beendigung seiner Arbeit Gelegen­heit gefunden, am Schluffe des Ganzen die vielen Fäden seiner Darstellung zu ver­einigen und ein deutliches Bild von der neueren Entwicklung Peru's in Beziehung aus Cultur, Volkswirthschaft und Politik zu geben. Bei den langjährigen Beob­achtungen, die er gemacht hat, ist sein Urtheil gewiß von großem Werthe.

Die Behandlungsweise ist unter Anderem dadurch charakterisirt, daß die Mit­theilungen über die gegenwärtige Verfassung und Regierung von Peru sich in dem Abschnitte überDie Gebäude des Staates für Regierung, Landesvertretung und Militärzwecke" finden. Das hindert nicht, daß die darauf sich beziehenden Angaben sehr lehrreiche sind. Nur ist, gerade in dem Maße, als sie werthvoll sind, eine derartige Zerstreuung der Gegenstände zu bedauern und freilich mancherlei minder Interessantes breit dazwischen gelegt (so etwa die Aufzählung der Klöster von Lima).

Aus der Fülle bedeutsamer Aeußerungen heben wir diejenige heraus, welche sich auf die Mißbräuche der Staatsverwaltung bezieht, auf die verbreitete Be­stechung, die Uebersullung der Aemter mit unthätigen und unfähigen Personen u. dgl. Hier heißt es (Bd. 1, S. 365 s.):So offenkundig und schreiend alle diese Mißbräuche sind, so läßt sich doch nicht absehen, wie ihnen gesteuert werden könnte. Sie stammen zum großen Theil aus den Zeiten der Colonialherrschaft her und sind durch Jahrhunderte lange Gewohnheit init sämmtlichen socialen Verhält­nissen der Bevölkerung aufs Engste verwachsen. Man kann sie daher den heutigen Peruanern kaum zum Vorwurf machen, denn Decrete vermögen das Wesen der Menschen nicht zu ändern, und Gesetze, die nicht im Rechtsbewußtsein des Volkes wurzeln , bleiben todte Buchstaben, es sei denn, daß sie durch äußere Strenge auf­recht erhalten werden. Diese Strenge fehlt aber, denn die mit Aufrechterhaltung der Gesetze Beauftragten sind ja wiederum Peruaner. Auch darf man billiger Weise die Peruaner darum nicht zu hart tadeln, daß sie sich in den Handlungen des öffentlichen Lebens nicht von Vaterlandsliebe und Nationalgefühl leiten lassen: denn sie sind ja keine Nation. Daß die Bevölkerung eines Landes sich nach den Gesetzen einer einheitlichen republikanischen Verfassung regiere, ist nur unter der Bedingung möglich, daß die verschiedenen Stämme, aus denen sie zusammengesetzt ist, einer Rasse angehören, oder daß eine Rassenverschmelzung stattgefunden hat, daß alle sich einer Sprache bedienen oder sie wenigstens verstehen, und daß unter den einzelnen Elementen ein Gefühl der Zusammengehörigkeit herrsche, aus welchem das Streben zum allgemeinen Besten und damit die Liebe zum Vaterlande hervor­geht . . . Wenn daher eine freisinnige Verfassung aus peruanischem Boden so schlechte Früchte trägt, so liegt die Schuld weniger am Volke, als an der Verfassung, welche nicht für das Volk paßt. Die Peruaner waren von jeher gewohnt, monarchisch regiert zu werden, und waren damit zufrieden. So zahlreich und lästig auch die Mißstände der spanischen Colonialregierung sein mochten, so hätten doch die Peruaner schwerlich das Joch abgeschüttelt. Die Unabhängigkeit wurde ihnen von ihren Nachbarn zum Geschenk gemacht, und bis zum heutigen Tage wissen sie nicht, was