Heft 
(1894) 82
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Deutsche Rundschau.

nach rechts und musterte jedes einzelne Bildniß. Dann ließ er davon ab, öffnete, weil er es schwül fand, die Balkonthür und nahm schließlich das Bries- paket wieder zur Hand. Es schien, daß er, gleich beim ersten Durchsetzen, ein paar davon ausgewählt und obenaus gelegt hatte. Diese las er jetzt noch einmal mit halblauter Stimme.

Sei heute Nachmittag wieder in den Dünen, hinter der Mühle. Bei der alten Adermann können wir uns ruhig sprechen, das Haus ist abgelegen genug. Du mußt Dich nicht um Alles so bangen. Wir haben auch ein

Recht. Und wenn Du Dir das eindringlich sagst, wird, denk ich, alle Furcht

von Dir absallen. Das Leben wäre nicht des Lebens Werth, wenn das alles gelten sollte, was zufällig gilt. Alles Beste liegt jenseits davon. Lerne Dich daran freuen."

. . . Fort, so schreibst Du, Flucht. Unmöglich. Ich kann meine Frau nicht im Stich lassen, zu allem Andern auch noch in Noth. Es geht nicht, und Wir müssen es leicht nehmen, sonst sind wir arm und verloren. Leicht­sinn ist das Beste, was wir haben. Alles ist Schicksal. Es hat so sein sollen.

Und möchtest Du, daß es anders wäre, daß wir uns nie gesehen hätten?"

Dann kam der dritte Brief.

. . . Sei heute noch einmal an der alten Stelle. Wie sollen meine Tage hier verlausen ohne Dich! In diesem öden Nest. Ich bin außer mir, und nur darin hast Du Recht: es ist die Rettung, und wir müssen schließlich doch die Hand segnen, die diese Trennung über uns verhängt."

Jnnstetten hatte die Briefe kaum wieder bei Seite geschoben, als draußen die Klingel ging. Gleich danach meldete Johanna:Geheimrath Wül- lersdorf."

Wüllersdors trat ein und sah aus den ersten Blick, daß etwas vorgefallen sein müsse.

Pardon, Wüllersdors," empfing ihn Jnnstetten,daß ich Sie gebeten habe, noch gleich heute bei mir vorzusprechen. Ich störe Niemand gern in seiner Abendruhe, am wenigsten einen geplagten Ministerialrath. Es ging aber nicht anders. Ich bitte Sie, machen Sie sich's bequem. Und hier eine Cigarre."

Wüllersdors setzte sich. Jnnstetten ging wieder aus und ab und wäre bei der ihn verzehrenden Unruhe gern in Bewegung geblieben, sah aber, daß das nicht gehe. So nahm er denn auch seinerseits eine Cigarre, setzte sich Wül­lersdors gegenüber und versuchte ruhig zu sein.

Es ist," begann er,um zweier Dinge willen, daß ich Sie habe bitten lassen: erst um eine Forderung zu überbringen und zweitens um hinterher, in der Sache selbst, mein Secundant zu sein; das eine ist nicht angenehm und das andere noch weniger. Und nun Ihre Antwort."

Sie wissen, Jnnstetten, Sie haben über mich zu verfügen. Aber eh' ich die Sache kenne, verzeihen Sie mir die naive Vorfrage: muß es sein? Wir find doch über die Jahre weg, Sie, um die Pistole in die Hand zu nehmen, und ich, um dabei mitzumachen. Indessen mißverstehen Sie mich nicht, Alles