Heft 
(1894) 82
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Deutsche Rundschau.

Kirche zu schützen scheint. Im Jahre 1799 landete hier Bonaparte, als er von Aegypten kam, und hier auch verließ er das Land, um 1814 nach Elba zu gehen. Es trifft somit nicht ganz zu, wenn behauptet wird, Alphonse Karr habe St. Raphael entdeckt: richtig aber ist, daß er unter den französischen Schriftstellern der erste war, der sich hier niederließ, daß ihm bald andere Celebritäten der Literatur und Kunst folgten, und daß der neue Aufschwung von St. Raphael mit jener Zeit begann. Was aber alle jene Künstler und Schriftsteller hier suchten, das war der stille abgelegene Ort, an dem man Blumen, Sonne und Meer genießen kann, ohne von anderen Menschen gestört zu werden. Sie alle flohen den Lärm des großstädtischen Nizza und des übereleganten Cannes.Wenn ich eine große Stadt lieben möchte," pflegte Alphonse Karr zu sagen,zöge ich zurück nach Paris." Auch ist es im Sommer hier kühler als jenseits des Esterel, und der sandige Strand ladet dann zum erfrischenden Bade ein, daher sich St. Raphael immer mehr zum sommerlichen Seebad entwickelt. Im Winter ist es zu sehr den Winden aus­gesetzt. Das sollten auch wir noch erfahren. Schon am Abend bei unserer Ankunft begann sich Ostwind zu erheben, am nächsten Tage wehte er mit Macht und war von heftigem Regen begleitet. Gegen dieses Unwetter ließ sich im Freien nicht ankämpfen. Der Wind trieb die Regentropfen fast wag­recht durch die Luft. Das dauerte so zwei Tage. Starker Ostwind ist hier meist mit Regen gepaart, somit traurig. Ganz verschieden gebärdet sich sein Widersacher, der nördliche Mistral. Er ist trocken und daher weit heiterer. Er fegt den Himmel rein und pfeift bei Sonnenschein. Er bläst nicht in langen Zügen, sondern in abrupten Stößen, er klingt donnerartig und rüttelt an den Gebäuden. Der Ostwind hingegen bläst stärker oder schwächer, doch ohne Unterbrechung fort; seine Stimme ist mehr ein Klagen, so daß man bei Nacht langgedehnte Schluchzer zu hören meint. In der zweiten Nacht, die auf unsere Ankunft folgte, entlud sich ein polterndes Gewitter, das mit dumpfem Dröhnen die Thäler erfüllte und zuckende Flammen auf die Meeres­fläche warf; als der Morgen aber kam, da strahlte die Sonne wieder hell in unser Zimmer hinein. Das Meer tobte weiter, und wir zogen hinaus, um seinen Anprall gegen die Felsen des Strandes zu sehen. Zu den Wahr­zeichen von St. Raphaöl gehören seine beiden Löwen:w Uon cts torrs" und w Uon 6o mor", zwei rothe Porphyrfelsen, die gleichsam Wache vor dem Strande halten. Der Seelöwe hat sich weiter in das Wasser hinausgewagt, der Landlöwe dicht am Ufer gelagert. Sie kauern da wie apokalyptische Thiere und trotzen seit Ewigkeit der nagenden Kraft der Wellen. Jetzt stürmt das Meer mit Macht gegen diese Felsen an, wälzt seine Wogen über sie hin­weg und wirft mit Getöse schäumenden Gischt hoch an ihnen empor, lieber den Porphyrlöwen im blauen Himmelsraum da wiegen sich aber die Möven. Wie gerne folgt ihnen das Auge, diesen muthigen Vögeln, wenn sie mit breitem und mächtigem Flügelschlag die Luft durchschneiden. Jetzt segeln sie gegen den Wind, jetzt wiegen sie sich an der Stelle, jetzt schießen sie herab in die Fluth, um ihre Beute zu fassen; mit ihr schwinden sie in der Ferne, oder sie lassen sich nieder aus der schaukelnden Welle, ein weißer Punkt mehr in-