Botanische Streifzüge an der Riviera.
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Jedermanns Mund, als der berühmte Schauspieler Frsderic Lemaltre im Am- bigu-Theater die Hauptrolle in einem Schauerdrama gab, das in einer „Au- berge des Adrets" spielte. Das war in den vierziger Jahren, und alle sensationsbedürftigen Besucher von Cannes machten Ausflüge ins Esterel, um in der „Auberge des Adrets" die Räume zu sehen, in denen ein Herr Germeuil ermordet oder vielmehr nicht ermordet worden war. Denn abgesehen davon, ob die ganze Geschichte sich jemals zugetragen, oder ob sie nur erfunden war, handelte es sich tatsächlich in dem Drama nicht um diese, sondern Wie das Textbuch deutlich angab, um eine Herberge gleichen Namens auf dem Wege von Grenoble nach Chambäry. — Unter den Besuchern, die in fröhlicher Laune von Cannes ans hierher gekommen waren, befand sich im Jahre 1868 auch Georges Sand. Die Bewohner des Hauses wurden damals schon sehr ungehalten, wenn man sie über jenen Herrn Germeuil ausfragen wollte; sie glaubten, man bezichtige sie des Mordes. Richtig ist, daß vor Jahren die Gegend um jene „Auberge des Adrets" besonders berüchtigt war. In den unzugänglichen Thälern und Schluchten des Esterel suchten alle jene Verbrecher ihre Zuflucht, denen es gelungen war, aus den Galeeren von Toulon zu entfliehen. Sie pflegten die Reisenden unfern von diesem Wirthshaus anzusallen, an einer Stelle, wo die Straße von angrenzenden Höhen beherrscht ist. „Als wir vorbeifuhren," schreibt Horace Benedict de Saussure, „zeigte uns der Courier von Rom, der mit uns reiste, einen zertrümmerten Reisekofser, der noch am Wege lag und einem Courier gehört hatte, der vor einigen Tagen ausgeplündert worden war." Als hingegen der Erlanger Professor der Naturwissenschaften Gotthilf Heinrich Schubert 1822 „mit der Hausfrau, die, wie gewöhnlich, als Haushofmeister und Adjutant ihren alten Träumer begleitete", die nämliche Stelle überschritt, hatten sich die Zustände bereits geändert. In dem Wirthshaus war ein Gendarmerieposten errichtet. Doch fand er dort nur eine alte Frau und zwei kleine Kinder vor. Während die Reisenden sich stärkten, kam die Alte aus die verschollenen Räubergeschichten zu sprechen. „Wenn sich so ein Räuber doch hier wieder sehen ließe," meinte die Frau, „damit unsere Gensdarmen zeigen können, daß sie ihr Brot nicht umsonst essen." — Seitdem die Eisenbahn Frsjus mit Cannes verbindet, ist diese Straße wie ausgestorben, und Räuber würden ihr Auskommen da nicht mehr finden. Das Wirthshaus zeigt aber noch deutlich an, daß es einst daraus eingerichtet war, sich zu vertheidigen. Die Mauern sind ungewöhnlich dick, die Fenster des unteren Stockwerks mit eisernem Gitter versehen. Durch eine Oeffnung in der eichenen Thür wurde der Reisende erst genau betrachtet, bevor er Einlaß erhielt, schräge Schießscharten in den Wänden sind gegen die Thür gerichtet: das Haus gleicht einer Festung, die nur durch regelrechte Belagerung genommen werden könnte. Jetzt steht seine Thür weit offen, und kleine Kinder spielen vor dem Hause.
VI.
Wir kehrten nach Malpay zurück und wählten von dort einen Weg, der in südöstlicher Richtung uns nach Agay führte. Bald waren wir in den Vallon äs 1a Oadrs gelangt. Dort breitete überall am Abhang der lorbeerartige