238
Deutsche Rundschau.
Schneeball (Vidurnum Tunis) seine Weißen Blüthendolden aus. Bis auf die betretenen Wege wagten sich die blauen Schwertlilien (Iris Mrmaniea) hervor. Die Dichternarcisse (Mreissus poetieus) schaute uns aus dem Gebüsch mit ihren leuchtenden Blumenaugen an- Hochstengelige Tulpen (Tulixa Oslsiana) grüßten uns aus der Ferne mit ihren gelben Blüthen. Die violetten Blüthen- stände der doldenblüthigen Schleisenblume (Iberis umbsUata) überraschten uns durch ihre Pracht; hatten wir doch dieses schöne Gewächs bisher nur in Gärten gesehen. Bald war in unseren Händen Opiums arauikera, die merkwürdige Orchidee, mit ihren spinnenartigen Blüthen, und zu dieser konnten wir dann auch ihre bienenähnliche Schwester (Oxür^s achtern) gesellen. Am meisten aber ersreute uns das seltene lämoäorum abortivum, eine blattlose Orchidee, die in allen Theilen hellviolett gefärbt, auch hellviolette Blüthen trägt. So wandelten wir im Thale mit großen Blumensträußen in den Händen. Da plötzlich tauchte vor uns ein großer Porphyrblock aus. Er steht auf schwachen Füßen und neigt sich über den Bach, als wollte er stürzen. Das Volk hat ihn den Taubenschlag, „kchennier", genannt. Dann führte unser Weg weiter an anderen phantastischen Felsen vorbei; oft schienen sie das Thal zu versperren und traten erst weit im Halbkreis auseinander, als wir den Fluß von Agay erreichten. Dem folgten wir bis an das Meer. Zackig zerrissen, in rothem Lichte glühend, schaut dort das Castel d'Agay in die See hinab. Wie Zähne einer Riesensäge ragen in langgedehnter Reihe die steinernen Zacken gegen den Himmel vor. Wir rasteten an der lieblichen Bucht von Agah, die der rothe Porphyr in einen farbigen Rahmen faßt. Wir sind hier zehn Kilometer von St. Raphael entfernt, an der Station der Mittelmeerbahn, die dem Seestrande folgt, um dem Gebirge auszuweichen.
Unfern von Agay, am Wege nach St. Raphael, wird blauer Porphyr gebrochen. Große Blöcke sprengt man aus dem Berge heraus, schneidet sie in Platten und Würfel und verwertbet den Rest für Straßenbau. Der ganze Strand ist mit blauem Porphyr bedeckt, und zahlreiche Arbeiter sind beschäftigt, ihn auf Schisse zu laden. Der Porphyr des Esterel ist ein Quarzporphyr, der in dichter, mit bloßem Auge nicht unterscheidbarer Grundwasse, die aus Quarz und Feldspath besteht, Krystalle oder crystallinische Körner aus Quarz oder Feld- spath führt. Der Feldspath ist meist sleischroth, doch wird die rothe Färbung des ganzen Gesteins vornehmlich durch Eisenoxyd bedingt, das als ein seiner Staub in der Grundmasse vertheilt ist. In den blauen und andern hellgefärbten Porphyren tritt das Eisenoxyd gegen Eisenoxhdulverbindungen zurück. Der blaue Porphyr wird für Straßenbauten besonders geschätzt und seine Gewinnung hier in großem Maßstab betrieben. — Dem Steinbruch gegenüber springt eine Landzunge, „Oe kiton äu OramonQ, vor in die See und trägt auf steil abfallenden Felsen einen hohen Leuchtthurm. Er warnt den Schiffer schon aus der Ferne vor der Gefahr, die ihn an dieser felsigen Küste bedroht. Die Bucht von Agah, die bei ruhigem Wetter still ist und leer, füllt sich bei stürmischer See oft mit vielen Schiffen. Sie warten hier, im sicheren Schutze der Berge, aus günstigeres Wetter, und schon zur römischen Zeit hat der Agathon Portus manches Schiff vor Untergang gerettet.