Heft 
(1894) 82
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Deutsche Rundschau.

Laune. Und als bereue sie nachträglich diesen Uebermuth, verbarg sie sorgsam das Thal zwischen hohen Bergen. Das Malinsernet mußte tatsächlich erst entdeckt werden, und noch im December 1851, nach dem napoleonischen Staats­streich, konnten politische Flüchtlinge sich dort lange Zeit verborgen halten und den Nachforschungen der Gensdarmen entgehen.

VIII.

Das Wetter blieb unverändert, und so fuhren wir am nächsten Morgen Wieder nach le Trahas, um von dort den Gipfel des Cap Roux, dieVigis äs?s^88uriu" zu ersteigen. Alle unsere Erinnerungen an das Esterel treten gegen den Eindruck zurück, den wir dort empfingen. Nicht weit von der Station unter einem Bogen des Bahndammes hindurch ging es in westlicher Richtung gleich in die Höhe. Der Weg führte uns an den nördlichen Abhang, zu der Einsiedelei St. Baume d'Honorat. Dort soll einst als Einsiedler der heilige Honoratus gelebt haben, der um das Jahr 408, auf jener Vermischen Insel, die heute seinen Namen trägt, ein Kloster gegründet hat, das hohe Berühmtheit erlangte. Zahlreiche Pilger ziehen auch jetzt noch am ersten Donnerstag im Mai den Berg hinaus, um den Heiligen zu verehren. Die Einstedelei wird von einem hohen Felsen überragt. Ein steiler Fußweg und steinerne Treppen führen zu der Grotte, die St. Honoratus, der Sage nach, bewohnte. Sie birgt einen Altar, eine tiefe Cisterne und einen Stein, der dem Heiligen als Lager diente. Die Pilger betrachten ihn mit Andacht und deuten seine Vertiefungen als Spuren, die der Körper des Heiligen zurück­ließ. St. Honoratus stammte aus dem nördlichen Gallien, wie es heißt, aus einer vornehmen Familie. Noch jung zog er sich in diese Einöde zurück. Sein Beispiel regte zur Nachahmung an. Es folgte ihm der heilige Eucharius. Später als der heilige Honoratus entsagte dieser provenyalische Edelmann, Seignieur de Thsol et de Mandelieu, der Welt. Er mag manchen bitteren Kummer und manche Enttäuschung zuvor erlebt haben. Denn, wie ich der Geschichte der Diöcese Fräjus, die der Abbs Didier veröffentlicht hat, ent­nehme, war der heilige Eucharius zuvor verheirathet gewesen und besaß zwei Söhne und zwei Töchter. Als ihm seine Frau durch den Tod entrissen wurde, übergab er die Erziehung der Söhne dem heiligen Hilarius und zog sich zu­nächst aus eine der Vermischen Inseln und dann in die Einsiedelei des Cap Roux zurück. Er bewohnte hier eine Grotte, die noch unzugänglicher, noch abgeschlossener als diejenige des heiligen Honoratus war. Hiervon Allen getrennt, der Ruhe und der Schweigsamkeit sich weihend, hatte er weder den Willen noch die Gelegenheit zu sündigen". Hier verfaßte er auch einen be­geisterten Tractat zum Lob der Einsamkeit. Doch sollte er sein Leben nicht in dieser Einöde beschließen. Abgesandte der Lyoner Gemeinde entführten ihn, um ihn als Erzbischof an ihre Spitze zu stellen. Schwer fällt es heute, sich in den Geist jener begeisterten Asketen zu versetzen, denen als Ideal der Voll­kommenheit nicht die Erfüllung der sittlichen Pflichten des Lebens, sondern der Ertödtung aller sinnlichen Gelüste vorschwebte. Doch damals waren die Zeiten anders, und es sah so traurig aus in der Welt, daß mancher an ihr