Heft 
(1894) 82
Seite
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Meine persönlichen Erinnerungen an Anton Rubinstein.

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seines Herzens sagte, d. h. sür eine solche, die fest, mit Ueberzeugung und ehrlich an ihm hing. Denn er hatte gesehen, wie mächtig diese Wenigen sind, deren Meinung langsam, aber sicher die Meinung Aller wird, wenn sie die Zukunft in sich trägt. Er sah rechts und links von sich Männer empor­wachsen, deren Suprematie seinen Weg beschattete; doch wenn er zu wahr­heitsliebend war, um die Thatsache zu leugnen, so war er zu stolz, sich ihr zu beugen. Sein Inneres bäumte sich dagegen auf. Neid war seiner großen Seele fremd; aber es gab sür ihn Momente der Zerknirschung, in der ihn allerdings Wohl nur seine nächsten Freunde gesehen haben mögen. Ein Mensch von einfachen Gewohnheiten und, bei königlicher Freigebigkeit, selber be- dürfnißlos, hat es ihm doch je länger, je mehr an der Befriedigung gefehlt, die allein ihm genügt haben würde. Mit bewundernswerther Energie nahm er immer wieder einen neuen Anlauf; immer wieder mit einem neuen Werk riß er die Menge hin, und immer wieder mit seiner Anwesenheit verschwand auch das Werk. Reich an überwältigenden Einzelheiten, an genialen Blitzen war jedes, vollendet keins. Von seinen größeren Schöpfungen hat darum kaum eine sich unbestritten auch nur während seiner Lebenszeit im Concertsaal oder aus der Opernbühne gehalten. Vergöttert von einer zahllosen Schar enthusiastischer Freunde, schwärmender Frauen, dankbarer Schüler, von unerschöpflicher Herzens­güte, die Vielen geholfen hat, edel in Allem, was er that und dachte, hoch er­haben über irgend einer kleinlichen Regung und mit dem Glanz eines Namens, der beide Hemisphären erfüllte, doch frei von der geringsten Spur des Hochmuths, ein Mann, in jedem Betracht ersten Ranges und von denBesten seiner Zeit" als ihres Gleichen betrachtet, ist er doch nicht glücklich gewesen. Er war es einmal, und zuweilen im Gespräch drang auch noch die heitere Harmlosigkeit, die Jovialität durch, die seinem Gemüth ursprünglich eigen. Aber die mit den Jahren sich häufenden Enttäuschungen zehrten an ihm und mögen viel dazu beigetragen haben, daß er lange schon, bevor sein Alter es verlangte, einen gebrochenen Eindruck machte.

In jenen Londoner Tagen aber war er von einer bezaubernden Anmuth und einem überquellenden Leben; sein Kopf, von dem braunen Gelock dicht umwallt, glich noch mehr dem des jugendlichen Apoll, als dem Beethoven's, an den er später erinnerte; seine Figur war schlank und ebenmäßig, sein Betragen, ohne gerade zutraulich zu sein, doch auch ohne fühlbare Reserve, sein Gesicht strahlte von sieghafter Freundlichkeit, keine Falte war aus seiner breiten Stirn, und aus seinen großen grauen Augen sprach der Schalk ein Mann,zum Verlieben", und nicht nur sür die Frauen. Mit dem ersten Händedruck hatte er mein Herz gewonnen, und es ist ihm geblieben über jenen Tag hinaus, wo wir in einem kleinen frohen Kreise imKaiserhof" zu Berlin das fünf­undzwanzigjährige Jubiläum unserer Freundschaft gefeiert haben.

Ich glaube, daß es in Margaretstreet war, einer jener kleinen Straßen zwischen Cavendish-Square und Regent-Circus, damals und Wohl noch immer eine der elegantesten Gegenden von London. Sein Zimmer, mit tiefen Fenstern, dicken Teppichen, Marmorkamin und gebräunten Mahagonimöbeln war für meine Begriffe sehr prächtig zugleich und sehr behaglich. Schön zu

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