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Deutsche Rundschau.
Wohnen War so ziemlich der einzige persönliche Luxus, den Rubinstein sich immer gegönnt hat. Er spielte, während wir sprachen, mit einem elfenbeinernen Papiermesser, das er auf dem Tische liegen ließ, als er in das anstoßende Cabinet ging, um sich zum Ausgehen anzukleiden. Auf dem Griffe des Falzbeins stand in hebräischen Lettern sein Name geschrieben: Anton Rubinstein. Er hat aus seiner jüdischen Herkunft niemals ein Hehl gemacht; sein größtes Gaudium waren Anecdoten von polnischen Juden, mit jenem Salz gewürzt, schärfer noch als das attische — zehnmal, zwanzigmal ließ er sich dieselben Geschichten erzählen, um zehnmal, zwanzigmal darüber zu lachen — und o, wie konnte Rubinstein lachen! Einmal — es war auch in London — hatte Hans von Bülow, zu der Zeit, Anfang der achtziger Jahre, von einer, übrigens sehr leichten und rasch vorübergehenden, antisemitischen Anwandlung befallen, seine Karte bei ihm abgegeben, welche die ganze Reihe seiner Titel ausführte: vr. Ml., Hofmusikintendant S. H. des Herzogs von Meiningen u. s. w. Als Rubinstein den Besuch erwiderte, schrieb er unter seinen Namen aus der sonst leeren Karte nichts weiter als die zwei Worte: „Slavischer Semit".
Grenzenlos weit lagen die Welt und das Leben vor uns an diesem duftigen Maientag, als wir zusammen die Regentstreet hinabgingen — für mich der Inbegriff aller Herrlichkeit, aller schlummernden Sehnsucht, aller schimmernden Hoffnung. Unsäglich glücklich und stolz fühlte ich mich zur Seite dieses jungen Menschen, in dessen frühem Ruhm ich mich sonnte, und der eben jetzt mit Joachim sich in die musikalischen Ehren der Saison theilte. Joachim und Rubinstein! Diese beiden Namen sind für mich untrennbar verbunden mit der Erinnerung an jene Londoner Sommer, die so voll glänzender, unvergeßlich holder Träume waren! Da hörte ich auch Rubinstein zum ersten Mal. Ich sehe sie noch vor mir, die fashionable St. James's Hall, am Ende von Regentstreet, unter dem gedämpften Lichte des Nachmittags, die schönsten Frauen und Mädchen Englands in reizenden Frühlingstoiletten, dicht gedrängt in den Logen und Fauteuils, Kopf an Kopf, von dieser feinen, vornehmen Art, dem echten Aristokratentypus — er in der Mitte, von ihnen umringt, am Flügel, Chopin spielend — so schwermüthig süß, so bestrickend unwiderstehlich, daß den blonden Insulanerinnen das spröde Herz schmolz in der Brust, und unten der kleine Mr. Ella, das verschmitzte Gesicht aus den Stock mit dem silbernen Knopf gestützt, vergnügt lächelnd. Denn er war der Unternehmer dieser Concerte. So wie damals, in seinem achtundzwanzigsten Jahre, Rubinstein war, stellt ihn ein Porträt dar, das er mir beim Abschied geschenkt hat und unter welches er mit seiner wuchtigen Hand und in seinem gedrungenen, aber nicht gerade elastischen Deutsch die Worte schrieb: „Zur Erinnerung, daß dieses darauf gedruckte Individuum einen Operntext von Ihnen zu bekommen hat. London, 30. Juni 1858."
Wenn ich Rubinstein auch in London zuerst persönlich kennen gelernt hatte, so waren die Beziehungen zwischen uns doch schon vorher angeknüpft worden. Als er noch in Leipzig und ich noch in Hannover war, hatten gemeinschaftliche Freunde mir seinen Wunsch mitgetheilt, daß ich ihm eine biblische Dichtung zum