Heft 
(1894) 82
Seite
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Meine persönlichen Erinnerungen an Anton Rubinstein.

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Zwecke der Komposition übergeben möge. Mein Lieblingsstudium um eben die Zeit war die Bibel und zwar des Alten Testaments; ich hatte zu meiner Erbauung bereits säst sämmtliche Psalmen in Verse gebracht und beschäftigte mich hierauf mit dem Hohenliede, von welchem ich gleichfalls eine versificierte Uebersetzung vollendet hatte, als jene Botschaft von Rubinstein mich erreichte. Wiewohl dieser den Plan der geistlichen Oper, wie er ihn später erfaßt und ausgesührt, noch nicht vollkommen in sich ausgebildet hatte, so begegneten sich doch auf halbem Weg unsere Ideen ich entsinne mich nicht genau, wer mehr der Anregende, mehr der Angeregte gewesen: ich weiß nur noch, daß ich den Ent­wurf fertig mit nach London brachte und daß er ihn mit großer Lebhaftigkeit an sich nahm. Doch über ein Vierteljahrhundert währte es, bis er ernstlich an die Komposition des Werkes ging, das unser erstes hätte werden sollen und in Wahrheit unser letztes geworden ist.

So lange ich Rubinstein gekannt, hat es für ihn nichts Ehrwürdigeres gegeben, als diese heilige Dichtung des Morgenlandes, deren innerstem Geiste der seine verwandt war. Ich erinnere mich meines Staunens, ihn so bibel­fest, in den biblischen Geschichten so bewandert zu finden; es hatte zugleich etwas Rührendes, ihn, den jugendlich schönen und gefeierten Mann der Welt, von diesen frommen Dingen sprechen zu hören, die freilich für ihn vor­wiegend eine menschliche, künstlerische Bedeutung hatten. Denn nicht für die Kirche, sondern für die Bühne wollte er dramatisch-musikalisch sie beleben und gestalten.

Was ich ihm bot, war aber nur eine Reihe kleiner Lieder und Chöre, die sich eng an den Bibeltext schlossen, und durch eine Handlung nicht eigentlich oder doch nur schwach verbunden waren. Indem ich dies schreibe, liegt jenes früheste Concept mir vor, das viele Jahre lang in Rubinstein's Händen war und auf jeder Seite noch die Spuren seiner Bleisederschrift zeigt. Denn das war das ungemein Anregende dieses geistigen Verkehrs, daß Rubin­stein immer mit seinem Dichter arbeitete, Fragen aufwarf, Bedenken äußerte, kurz, sich nicht zufrieden gab, bis Alles deutlich vor ihm stand. So waren über zwei Jahre seit jenem ersten Begegnen vergangen, als ich den Brief von ihm erhielt, den man sogleich lesen wird.

Denn, indem ich mich anschicke, seine an mich gerichteten Briefe hier mitzutheilen, möchte ich im Voraus bemerken, daß ich sie geben werde, wie er sie geschrieben hat, mit all' den kleinen Verstößen gegen die deutsche Sprache, die zu corrigiren sehr leicht gewesen, die ihm jedoch so reizend stehen, daß es schade darum sein würde. Jeder, der Rubinstein gekannt, wird ihn ganz und gar in diesen Briefen wiederfinden, denn er schrieb wie er sprach geistvoll, herzlich, mit einer gewissen Eindringlichkeit, aber ungesucht, natürlich und immer treffend im Ausdruck. Er charakterisirt sich selber in ihnen, besser als ein Anderer es vermöchte; das mag mich entschuldigen, wenn ich sie hier mit­theile, wiewohl sie an mich gerichtet sind. Was ich überhaupt in diesen Blättern zu geben vermag oder mir vorgesetzt habe, bildet ja nur einen kleinen Ausschnitt ans seiner überreichen künstlerischen Thätigkeit. Es war eine Zeit, wo mein Verhältniß zu Rubinstein mir so sehr als ein Stück meines eignen