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Deutsche Rundschau.
Lebens erschien, daß ich das Eine vom Anderen nicht trennen könnte; doch ich denke, daß man selbst in dieser Beschränkung nicht ungern vernehmen wird, wie er sich äußerte.
Damals also schrieb er:
St. Petersburg, den 12. November 1860. Lieber Herr Rodenberg!
Ich wende mich an Sie mit einer großen Bitte und hoffe, Ihre große Liebenswürdigkeit Wohl kennend, daß Sie sie mir nicht abschlagen werden — nämlich: Ihr Gedicht „Sulamith und Salomo" habe ich zu verschiedenen Malen in die Arbeit genommen und immer wieder bei Seite gelegt, weil ein Etwas drin war, welches mich nicht ganz befriedigte — und zwar lag es immer an dem Stoff selbst, dessen herkömmliche Aussassung, obwohl ganz nach der Schrift, mir der logischen Nothwendigkeit entbehrte — die vielen Widersprüche in Zeit, Ort und Personen quälten mich und ließen die Begeisterung, deren ich fähig bin, wenn mir ein Stoff ganz entspricht, nicht zu — nach langem Grübeln und Suchen fiel mir endlich vor Kurzem das Werk „Oe Oantique des Eantiquss xar Orn68t Lenau" in die Hände, und das gab mir Ausschluß über meine Zweifel und die Ueberzeugung, daß seine Auffassung dieses mysteriösen Stoffes mir Zusagen würde. — Meine Bitte ist also. Sie möchten dies Werk durchlesen und mir Ihr Gedicht in diesem Sinne umarbeiten—es würden drei Hauptpersonen, Sulamith, ein Schäfer und Salomo, außerdem Stimmen aus dem Volke, Frauenchöre, Männerchöre, gemischte Chöre u. s. w. drin Vorkommen, es möchte an dramatischer Lebendigkeit gewinnen, dabei ganz die vorliegende Cantaten- oder Oratoriensorm beibehalten können und auch durchaus nicht länger zu werden brauchen.
Nicht wahr, Sie machen mir das? und zwar so bald als möglich. —
Antworten Sie mir mit ein paar Zeilen, ob Sie es thun wollen und wie bald ich es bekommen kann, da ich jetzt sehr gerne möchte in kürzester Frist an diese Arbeit schreiten.
Mit hoher Achtung Ihr freundschaftlich ergebener
Ant. Rubinstein.
Allein auch Renan half uns schließlich nicht viel, die Zeit für das Hohelied war noch nicht gekommen; immer wieder ward es zurückgestellt und immer wieder hervorgeholt. Inzwischen aber war eine neue Idee aufgetaucht. Rubinstein schrieb mir unter dem 16. Februar 1861 aus Petersburg:
Mein lieber Rodenberg >
Ich verlasse mich auf Ihr Versprechen bezüglich des „Hohen Liedes" und will gerne bis zum Mai warten, in welcher Zeit ich ihn (Äo! wohl den Text) mir entweder holen will oder Ihnen schreiben werde, wohin Sie mir ihn schicken mögen — da ich dieses Werk durchaus diesen Sommer fertig machen will. —
Wo werden Sie Ende Mai sein? Ich möchte trachten Sie anfzusuchen wegen einer anderen Bitte — Operntext! Schreiben Sie ein paar Zeilen, bis Ende April muß ich leider hier bleiben — dann aber bin ich ein freier Vogel.
Ganz der Ihrige Ant. Rubinstein.
Diese Oper war der „Feramors". Auch hier kann ich nicht genau mehr sagen, ob der Gedanke dazu von ihm, ob er von mir ausgegangen. Denn lange vor Rubinstein hatte ich meinen Tom Moore gekannt und geliebt, die Mehrzahl seiner „Irish Melodies" übersetzt (wenn auch nur zum geringsten Theile publicirt) und noch eben, an der englischen Seeküste von Deal, war seine liebliche „Lalla Rookh" meine Gefährtin gewesen. Dieses Gedicht hat Spontini den Text zu seiner Oper „Nurmahal" und Robert Schumann den