Meine persönlichen Erinnerungen an Anton Rubinstein.
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Der Leser wird fragen — und ich frage mich selber — Warum ich eigentlich meinen Freund, dem ich doch Alles gern zu Gefallen that, fo lange auf das Gedicht warten ließ; warum ich nicht wenigstens den Versuch machte, seinem dringend und oft ausgesprochenen Wunsche nachzukommen. Das blaue Papier aus der Hannoverschen Zeit mit meinen vergilbten Versen und seinen Bleifederspuren gibt mir nur die eine Auskunft: daß die Neugestaltung des Textes Schwierigkeiten bot, denen ich mich damals nicht gewachsen fühlen mochte.
Doch war nunmehr ein neuer Gedanke zwischen uns gereist, und diesmal gingen wir Beide mit größerer Energie daran, ihn auszusühren: es war „der Thurm zu Babel".
Der erste Brief, der sich darauf bezieht, ist datirt aus London vom 20. Juni 1867:
Lieber Herr Rodenberg!
Der Plan und das Gedicht wird sehr schön werden und ich sreue mich unendlich aus dessen Composition — nur denke ich, muß es in der Weise geändert werden: es muß nicht bei Nacht ansangen, sondern gleich die erste Nummer muß Chor der Arbeiter sein —
„Laßt uns Steine aus Steine walzen, bald ist es vollbracht, bald steht der Bau in voller Pracht, heraus, hinan, herzu" re. rc.
Zweite Nummer: Freude des Nimrod, daß der Bau fertig wird, daß er endlich Gott sehen wird rc.
Dritte Nummer: Aufforderung des Nimrod an Leilah, ein Gebet an das Feuer zu richten — Gebet der Frauen mit Leilah.
Vierte Nummer: sowie bei Ihnen es mit II ansängt und bis zum Schluß ist nichts mehr zu ändern.
Der Anfang scheint mir zu philosophisch, daher schlage ich die Aenderung vor, im klebrigen bin ich ganz einverstanden.
In London bleibe ich bis zum 3. Juli und möchte mich sehr freuen, wenn ich es bis dahin haben könnte. Ich rechne auf Ihr Versprechen und mit besten Grüßen rc. ganz Ihr
Ant. RnLinstein.
London, den 4. Juli 1867.
Lieber Rodenberg!
Morgen verlasse ich London und reise nach Paris, wo ich acht Tage bleiben werde und dann nach Baden-Baden gehen will — Sie thun am besten, wenn Sie mir Etwas zu schicken haben, es nach letzterem Ort an die Buch- und Kunsthandlung Marx zu adresfiren.
Besten Dank für das Zugesandte — ich denke, das Ganze wird sehr schön werden — wenn es mir nur gelingt, auch etwas Gutes zu leisten —! —
Aus Wiedersehen in Berlin, bis dahin rc. Ihr
Ant. Rubinstein.
Wir sahen uns in diesem Sommer, arbeiteten viel mit einander am „Thurm" und trafen uns am Abend in einer von den Gartenrestaurationen Unter den Linden oder machten Ausfahrten — eine nach Charlottenburg mit Tausig und Ernst Dohm — auch diese Beiden nun längst bei den Todten!