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Deutsche Rundschau.
Am 3. Oktober 1867 schrieb mir Rubinstein aus Leipzig:
Lieber Rodenberg!
Endlich habe ich Ihren Text erhalten und bin entzückt darüber — wenn ich nur Zeit finden werde, ihn, wie fich'8 gehört, zu componiren! .... auch werde ich Sie bitten, mit mir Geduld zu haben, denn jetzt bin ich ja nicht mehr in russischen Diensten re. . . .
Wann werden Sie mir das „Hohe Lied" umändern? Ich halte mehr als je daran. — Ich hoffe im nächsten Januar Monat zu Concerten nach Berlin zu kommen, da werden wir uns hoffentlich oster sprechen und alle unsere Angelegenheiten in Ordnung bringen.
Mit besten Grüßen re. Ihr
Ant. Rubinstein.
Die Worte, daß er „jetzt nicht mehr in russischen Diensten" sei, bezieht sich daraus, daß Rubinstein in eben diesem Jahre 1867 die Direction des Petersburger Conservatoriums niedergelegt und alsdann auss Neue jene Concertreisen begonnen hatte, die Triumphzügen durch Europa und später Amerika glichen. Jetzt kam er mich regelmäßig wieder und jedesmal zu längerem Ausenthalt nach Berlin. Einen solchen wahren, warmen und lauten Enthusiasmus habe ich in der classisch angehauchten Berliner Singakademie weder vorher noch nachher erlebt, als an jenen Abenden, an welchen Rubinstein austrat — von jugendlicher Elasticität noch immer, mit dem Kopfe, den ich einst in London bewundert, von der Fülle des braunen Haares umwogt, aber schon mit Furchen in die Stirn gegraben, den Zeichen intensiver geistiger Arbeit. Nach den Concerten versammelten sich zu fröhlichen Symposien um den gastlichen Tisch im Hotel de Rome die Freunde Rubinstein's, unter ihnen stets auch Rudolf Löwenstein, der liebenswürdige Dichter der „Kinderlieder" und — neben Ernst Dohm — Redacteur des „Kladderadatsch", der vor Jahren, als Anton Rubinstein mit seiner Mutter und seinem Bruder Nicolai hier in Berlin war, um bei Dehn zu studiren, den beiden Knaben Unterricht im Deutschen ertheilt hatte. Mit großer Verehrung sprach Löwenstein von der Mutter seines ehemaligen Schülers, dessen Lernbegier er nicht genug rühmen konnte, während dieser, in weißem Halstuch und — nach den Anstrengungen des Abends — in seinen Pelz eingehüllt, voll ausgelassener Lustigkeit war. Wir, seine Gäste, schwelgten in allen guten Dingen der Jahreszeit; er hatte genug mit einem Apfel, einem Glase Rothwein und — seiner Cigarrette.
Das Jahr 1868 war der Composition des „Thurms" gewidmet; die Briefe Rubinstein's beginnen erst wieder im Sommer des folgenden Jahres, als ich mit meiner kleinen Familie zum Sommeraufenthalt in Thüringen war.
Berlin, den 4. August 1869.
Lieber Rodenberg!
Wie Sie sehen, bin ich schon in Europa (!) Freitag reise ich von hier mit dem Zug, der um 8 Uhr früh nach Halle geht — und werde heute noch erfahren, um wie viel Uhr ich dann nach Arnstadt ankomme. — Tausend Dank für Ihr freundliches Anerbieten, bei Ihnen die paar Tage zuznbringen — aber ich muß es ablehnen — ich bin nämlich der unerträglichste Gast, den Sie sich vorstellen