Meine persönlichen Erinnerungen an Anton Rubinstein. 253
können — und das sollen Sie Ihrer Frau nicht zumuthen — ich bitte Sie, mir ein oder zwei Zimmer in einem leidlichen Hotel auf nächsten Freitag zu bestellen und erwarte Sie (wenn es Ihnen nicht zu beschwerlich ist) am Bahnhofe. Also auf baldigstes Wiedersehen. Mit besten Grüßen Ihr
Ant. Rubinstein.
Was macht das „Hohe Lied"?!'.
So kam Rubinstein in dem Thüringer Landstädtchen an, sein ganzes Reisegepäck ein Handkoffer, in der die Partitur lag, ein Plaid und die Bibel, in der er unterwegs gelesen.
Wir, in unserem Landhäuschen, welches vor der Stadt in einem großen Garten lag, an einem rauschenden Bächlein, von alten Bäumen beschattet, hörten nun zuerst die Musik zum „Thurm von Babel" — und auch noch eine Andere lauschte diesen fremden Klängen mit leuchtenden Augen, die sich jetzt auch geschlossen haben, aber damals, in jenen Augusttagen, vor Stolz und Freude strahlten — meine Mutter. Ungezwungen nahte sie sich dem großen Tondichter, sie, von der ich die Liebe zur Musik geerbt, und die bis zuletzt die treueste Freundin Heinrich Marschner's gewesen ist. Auch Rubinstein hat ihr lange noch ein freundliches Andenken erhalten.
Inzwischen war ich nach Berlin und er nach Petersburg zurückgekehrt, und von dort erhielt ich folgenden Brief, der sich in seinem Anfänge darauf bezieht, daß der Stern'sche Gesangverein die Balletmusik mit den Chören aus „Feramors" ausführen wollte.
Den 8./20. September 1869.
Lieber Rodenberg!
Wollen Sie so freundlich sein, Herrn Stern zu sagen, daß die Erlaubniß von mir mit Vergnügen gegeben ist, daß aber, obgleich die Partitur bei Bock in Berlin ist, gerade in den Tänzen drei bis vier Bogen verloren gegangen sind, und daher die einzige Möglichkeit, sich dieselben zu verschaffen, nur ist, nach Dresden ans Hoftheater zu schreiben, daß man dort ihm eine Abschrift schicken möge. — Wenn Sie etwas von ihm wegen des Thurms hören, so schreiben Sie es mir sogleich — es ist von Wichtigkeit wegen der Abschrift der Partitur. — Das Werk ist nun vollkommen fertig und ich kann sagen, daß es mir bis jetzt noch große Freude macht (wahrscheinlich bis nach der ersten Aufführung —!?) Vergessen Sie nicht meinen Don Quichotte — das Hohe Lied — und Hiob —!
Leben Sie wohl rc. — auf Wiedersehen im Januar
Ihr Ant. Rubinstein.
Außer dem Hohenliede blieben Hiob und Don Quichotte H lange seine Lieblingsideen — zwei Stoffe, sollte man meinen, die nicht gegensätzlicher zu denken seien, und beide dennoch menschliche Comödien im höchsten Sinne. Solche Dinge beschäftigten Rubinstein unaufhörlich; immer schöpferisch gelaunt, war er zugleich ein schwer zu befriedigender Grübler, der viel las und mehr dachte. Wir treffen ihn deshalb auf so mancherlei scheinbar auseinander laufenden Wegen, während er im Grunde doch nur daraus aus war, den Menschen da zu suchen, wo die Natur noch am stärksten in ihm ist — diese Rebellennatur, die sich gegen Gott auslehnt und mit den Dämonen ringt.
Ein musikalisches Charakterbild Don Quichotte hat Rubinstein nachmals wirklich geschrieben (Op. 87).