Heft 
(1894) 82
Seite
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Meine persönlichen Erinnerungen an Anton Rubinstein.

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Werke als Programm dienen soll (?) und dann gehe ich an meine liebste Arbeit die geistliche Oper wenn mich Paris daran nicht behindern wird. Also machen Sie es mir fertig und schaffen Sie sich mich vom Halse nur bitte recht im Auge zu haben, daß bei aller Dramatisirung ich sowohl die Charaktere der Haupt­personen wie die Haltung des Ganzen geistlich wünsche, d. h. per majorsm vsi gloriam.

Nach Oberammergau gehe ich Anfang August, bis dahin bleibe ich hier. Wenn Sie mal einen Spaziergang hierher (es ist doch nicht weit) machen wollten, so werden ich und meine Frau H uns sehr freuen. Sie zu begrüßen, ja ich kann Ihnen sogar ein Zimmer in meiner Wohnung offeriren.

Mit besten Grüßen Ihnen und Ihrer lieben Frau von mir und meiner Frau

Ihr Ant. Rubinstein.

Aber weder ging Rubinstein nach Oberammergau noch ich nach Liebenstein: im folgenden Monat brach der deutsch-französische Krieg aus, der alle künst­lerischen Vorhaben zurücktreten ließ und namentlich mir ganz andere Ausgaben stellte.

Nach geschlossenem Frieden erst erhielt ich wieder ein Briefchen von Rubinstein:

Wien, den 4. November 1871. Lieber Rodenberg!

Ich kann jetzt leider gar keine Arbeit über- oder unternehmen also erlöse ich Sie leider sehr gerne von Ihrem Versprechen wenn Sie mir die Arbeit im Frühling machen werden, so wird sie mir sehr willkommen sein obwohl ich nach menschlich möglicher Berechnung erst in zwei Jahren an diese meine liebe Arbeit werde gehen können das ist Ihre Schuld. Die Hauptsache ist, daß ich nicht als Greis an die Arbeit der Liebe gehe; denn es würde dann bloß das Wollen, nicht aber das Können gelingen.

Mit besten Grüßen re. Ihr

Ant. Rubinstein.

Und nun, nachdem die großen Angelegenheiten des Vaterlandes zu einem glorreichen Ende geführt worden waren und Alles in einer neuen Sonne zu leuchten schien, ging ich endlich wieder mit frischem Muth an unser biblisches Gedicht und erhielt daraus nachstehenden Brief, der undatirt, aber offenbar Anfang Mai 1872 aus Wien geschrieben ist, wohin sich Rubinstein zur dortigen Ausführung seinesFeramors" begeben hatte:

Lieber Rodeuberg!

Das Scenario des Hohen Liedes ist sehr schön aber aber es ist ja beinahe ohne Ausnahme ganz die Wiederholung des Feramors! mit dem einzigen Unterschied, daß Sulamith eine Winzerin und Lalla Rookh eine Prinzessin ist ja sogar der Hochzeitsnarr ist kein Anderer als der Fadladin, und die

scenischen Effecte auch dieselben, wie die Darbringung der Geschenke.-Was

ist da zu thuu ja, auch das Kolorit ist wieder das Orientalische, da das Jüdische musikalisch zu schwer anders zu machen ist wie das Persische oder Arabische ich Lin ganz unglücklich darüber was ist da zu machen? Sie müssen Rath schaffen vielleicht ist dies Alles ein Grund, um eine von den vielen Auslegungen des Hohen Liedes zu wählen, die nicht der von Maudel- stamm entspricht! Wir müssen darüber in Düsseldorf sprechen, wo ich den

i) Rubinstein hatte sich in den sechziger Jahren verheirathet, und uns ward die Freude, seine Gemahlin während der Berliner Makkabäer-Ausführung (1875) kennen zu lernen.