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Deutsche Rundschau.
Wir nahmen aber (im „Chor der Landleute") das „Jahüi" an, und unser gelehrter Berather, der es verzeihen wird, daß ich seines Antheils an unserer Arbeit hier gedacht, würde sich gefreut haben, wenn er hätte hören können, wie wundervoll Rubinstein es componirt!
Also ward in der Margarethenstraße zu Berlin im Juli 1883 vollendet, was wir in der Margaretstreet zu London im Juni 1858 begonnen hatten-
Das Werk aber erhielt in letzter Fassung den Titel:
S u lamit h.
Ein biblisches Bühnenspiel in süns Bildern.
Nach dem hohen Liede Salomonis.
An einem jener späten Sommerabende versammelte sich ein kleiner Freundeskreis bei Herrn Hugo Bock, dem jungen Chef der alten Firma Bote L Bock, zwischen welcher und Bartholf Senfs in Leipzig Rubinstein seine Werke getreulich theilte. Die, „Sulamith" fiel der ersteren zu, welche den der Königin von Rumänien gewidmeten Clavierauszug wie das Textbuch mit einer wahrhaft liebevollen Munificenz ausgestattet hat. Hier, in den traulichen Räumen, in denen wir gemeinsam schon so manche Stunde froh verlebt, trug Rubinstein zuerst das vollendete Werk vor. Während er spielte, Gesang und Handlung leicht andeutend, zeichnete Paul Meyerheim die charakteristische Gruppe: Rubinstein, von den gespannt lauschenden Zuhörern umringt, am Flügel, den Kops über die Partitur gebeugt, die Stirn von dem hereinfallenden Haar beschattet. Er zählte dreiundsünfzig Jahre jetzt: sein Antlitz war gefurcht, Gang und Haltung zeigten schon ein vorzeitiges'Nahen des Alters; aber wenn er die Tasten berührte, dann glich er dem Antäus, der aus der Berührung des mütterlichen Bodens verjüngende Kraft schöpft, der erlöschende Glanz der Augen erhellte sich wieder, eiserne Kraft und Festigkeit waren in jeder Bewegung, und es ging von ihm jenes elektrische Fluidum aus, das, körperlos, einzig die Nähe des Genius verkündet.
In diesen Tagen hatte Rubinstein einen Ausflug nach Bayreuth gemacht, um einer Parsisal-Aufsührung beizuwohnen; nach seiner Rückkehr sand ich ihn, Wie ich ihn nie zuvor gesehen: zwei Stunden lang müßig, mit der Cigarrette vor sich hin brütend. „Wozu soll ich noch schreiben?" rief er aus; „mir bleibt nichts übrig, als niemals mehr eine Feder in die Hand zu nehmen . . ." Er beruhigte sich nur allmälig, wir sprachen von der „Sulamith", und am anderen Morgen war er wieder der Alte. In einer Woche hatte er vier Nächte im Eisenbahncoups zugebracht.
Und endlich kam der Abend des 8. November, da wir, im Hamburger Stadttheater, das Werk so vieler Jahre lebendig vor uns sehen sollten. Rubinstein dirigirte und ward, wie immer, wo er persönlich anwesend, mit jubelndem Beifall und Kränzen überschüttet. Meiner bemächtigte sich ein weh- müthiges Gefühl, eine Art Abschiedsstimmung, als ich des Anfangs gedachte, der um ein Vierteljahrhundert zurücklag — waren doch einige von diesen Liedern und Gesängen genau dieselben, wie sie geschrieben, bevor ich Rubinstein gekannt. Für ihn wie für mich war des Lebens bester Theil dahin, seitdem wir in den Londoner Frühlingstagen uns für das schöne Hirtenkind