Meine persönlichen Erinnerungen an Anton Rubinstein.
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aus dem Libanon begeistert; jetzt war Herbst, November — und entsprach der Erfolg, der wirkliche, so vielen Hoffnungen und so vieler Liebe? Wir glaubten es noch an jenem Abend, und mein bester Moment war der, als Rubinstein zu mir trat, mir die Hand drückte und sagte: „Ich danke Ihnen . . ."
Die „Sulamith" ist dann noch einmal im königlichen Opernhaus zu Berlin (Mai 1887), aber als Oratorium, ohne scenischen Apparat anfgeführt worden. Doch den Bildern fehlte die Farbe, die Wärme der dramatischen Beseelung; die „Sulamith" ist nicht für den Concertsaal geschrieben, und Wenn sie jemals auferstehen sollte, so kann es nur aus der Buhne sein.
Zwei Jahre nach Vollendung der „Sulamith" planten wir ein letztes neues Werk; und es war eine seltsame Fügung, daß die Anregung dazu von England ausging, dem Boden unserer frühesten gemeinsamen Erinnerungen. Rubinstein hatte für das große Musikfest in Leeds eine weltliche Cantate zugesagt, und am 20. Februar 1885 war's, daß er mich um die Dichtung dazu bat. Seine Aufforderung kam unerwartet, aber sie fand mich bereit — mir war, als ob ich Hüon's Zauberhorn und die Worte vernähme, mit dem der „Oberon" anhebt:
Noch einmal sattelt mir den Hippogryphen, ihr Musen,
Zum Ritt ins alte, romantische Land.
Nichts lag näher, als den Stofs in der britischen Vorzeit zu suchen, in jener Dämmerung der Geschichte, voll von dem geheimnißvollen Rauschen der Eichenwälder und den druidischen Gesängen, deren spätes Echo ich selbst einst noch vernommen in den Bergen von Wales und aus der sagenberühmten Mona, der heutigen Insel Anglesey. Die Zerstörung des nationalen Heiligthums gibt das Signal zum Ansstand des von den Römern niedergeworfenen Volkes der Briten, an dessen Spitze sich Boadicea (Boudicca) stellt, die Königin der Jcener. In furchtbarer Herrlichkeit aus dem Blutbad auftauchend, steht sie mit ihren beiden Töchtern aus dem Streitwagen: „zu siegen oder zu fallen, das sei der Entschluß des Weibes; die Männer möchten leben und Sclaven sein," läßt Tacitus sie sagen, als sie die zahllosen, von Haß und Leidenschaft trunkenen Scharen zum Verzweiflnngskampf führt. Die Römer hatten nicht mehr als eine Legion und wenige rasch herangezogene Hülfstruppen zur Stelle schaffen können. Aber an ihrer unerschütterlichen Disciplin zerschellte die Nebermacht der Barbaren, die Drachensahne der Inselketten sank für immer in den Staub vor den römischen Adlern, und Boadicea trank den Giftbecher.
Rubinstein ergriff meinen Vorschlag mit der Wärme, die schon an sich inspirirend war, und ich schritt unverweilt zur Ausführung. Denn mehr noch als sein gewohntes Ungestüm, wenn es sich um etwas ihm Congeniales handelte, drängte mich diesmal der Umstand, daß ich für den nächsten Monat eine Reise nach Italien vorhatte. Mit den Annalen des Tacitus und Mommsen's eben erschienenem fünften Bande vor mir, ganz erfüllt von dem Gedanken an Rom, das ich in einigen Wochen zum ersten Male grüßen sollte, gelang die Arbeit wie nie zuvor, und schon nach sechs Tagen, am 26. Februar, konnte ich Rubinstein