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Deutsche Rundschau.
letzten Ursachen der Dinge zürn Wesen der menschlichen Gattung gehört, und daß Staats- und Religionsgeschichte im engsten Zusammenhänge stehen, scheinen Herr Bois und seine Leser niemals gehört oder aus der Jagd nach Eitelkeiten des Tages spurlos vergessen zu haben. Wäre dem anders, so hätten die „xotites relio-ions" wenigstens mit einem Worte angedeutet, daß die in Rede stehende Erscheinung eine psychologische und sittengeschichtliche Seite hat, die eingehenderer Betrachtung nicht unwerth ist. Denn schon der Umstand, daß Aberwitz und Aberglaube in den gepriesenen Centren moderner Fortschrittsbildung ebenso heimisch zu werden vermögen, wie in obscuren, abseits der Heerstraße belegenen Erdenwinkeln, ist ausgiebig genug, um bei demselben sür einen Augenblick zu verweilen.
An einer Geschichte des Pariser Irr- und Aberglaubens sehlt es ebenso wie an einer Geschichte des Aberglaubens überhaupt. Höchstens, daß man den Secten- und Religionswucherungen einzelner Zeitalter, z. B. der Revolutions- Periode, einige Ausmerksamkeit gewidmet und deren Zusammenhängen mit verwandten Folgeerscheinungen nachgegangen ist. Nicht einmal über diejenigen Gemeinschaften, die als Setzlinge größerer, über die gesammte christliche Welt verbreiteten Konfessionen in den europäischen Centren Wurzel geschlagen und Mormonenthum, Spiritismus u. s. w. zu verbreiten versucht haben, gibt es zusammensassende Nachweisungen. Für Frankreich und Paris kommt noch der bekannte Umstand hinzu, daß man vom Auslande überhaupt nur das Noth- dürstigste weiß und nach diesem Nothdürstigsten nur ausnahmsweise fragt. Charakteristischer Weise kennt z. B. Herr Bois nur eine und dazu unbedeutende Pariser Gemeinde von protestantisch-sectirerischem Typus, diejenige der Swedenborgianer. Vorweg und ehe auf die übrigen, specisisch Parise- rischen Abschnitte unseres Buchs übergegangen wird, sei darum der französischen Anhängerschaft des berühmten schwedischen Mystikers und Physikers besondere Erwähnung gethan.
Darüber, wann und Wie der Swedenborgianismus nach Amerika und von dort nach Frankreich gekommen, was im Lause der Zeit aus dieser Lehre geworden ist, hat unser Verfasser nur ungenaue Kunde erlangt. Von Desbois" französischer Ausgabe der „Treana eosl68tia" und der „Vera ebristiania religio" (1772) hat Herr Bois offenbar ebenso wenig gehört, wie von Matter's „Lmannel äe LveäenborZ" (Paris 1862) oder den dreizehn dieser Lehre gewidmeten Zeitschriften, die seit dem „Congreß" von 1828 die neue Lehre verkündet und einer Totalumgestaltung entgegengeführt haben. Und doch erscheint der Bois'sche Bericht über die Pariser Formen der Swedenborgischen Lehre und Gemeinde erst verständlich, wenn man wenigstens beiläufig davon Notiz genommen, daß das System des im reisen Mannesalter (1743) zum Phantasten gewordenen ausgezeichneten schwedischen Gelehrten (tz 1772) sich aus zwei Theilen zusammensetzte: einem mystisch-physikalischen, der der Sache zur Weltberühmtheit verhaft, und einem rationalistischen, der heute allein übrig geblieben ist. Swedenborg lehrte, daß der Zweck der Religion aus die Herstellung directer Beziehungen zwischen der Geister- und der Menschenwelt gerichtet sei, daß die erstere ein Abbild der letzteren bilde, daß die Geister der Verstorbenen als Engel