Heft 
(1894) 82
Seite
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Deutsche Rundschau.

Auch in der Rue Thouin zeigte Alles ein trübseliges Aussehen; die dunkel­gekleideten jungen Mädchen der Zuhörerschaft sahen blutlos, die Kinder schwerrnüthig aus, der Gesang klang schüchtern und dünn, der Vortrag des Predigers spann sich einförmig und traurig ab, ohne irgend welche Wunderlichkeiten zu enthalten; lediglich die Kanzel, der unter derselben auf­gestellte Tisch, und die auf diesem aufgeschlagen liegende Bibel erinnerten an ein Cultuszwecken gewidmetes Gemach. Nach beendetem Gottesdienst gab der Prediger, Herr Decembre, unserem Figaro-Reporter einige Notizen über Entstehung und Ausbreitung seiner Gemeinde, die in das (oben als Periode der Erneuerung und Umgestaltung des Swedenborgianismus bezeichnten) Zeitalter der Restauration gefallen sei. Die ersten französischen Anhänger desneuen Jerusalem" seien Ofsiciere des 23. Linien - Regiments gewesen, denen ein Abbä Agger sich angeschlossen habe; dann habe der Unterpräfect Le Bois des GampsH sich der Sache angenommen und zu St. Amand den ersten öffentlichen Gottesdienst abgehalten. Die Pariser Gemeinde datire von 1837, wo ein früher bei Chartres ansässig gewesener Abbä Ledru die Gläubigen anfänglich in Privaträumen, später in der gegenwärtigen Localität zum Gottes­dienste versammelt habe. Alles Gewicht werde aus Verbreitung einer gesunden christlichen Moral, insbesondere aus Sammlung der Jugend der ärmeren Classen gelegt; zu Gunsten derselben sei eine Bibliothek begründet und die Einrichtung getroffen worden, daß an den hohen Kirchenfesten auf die Gottesdienste Liebes- mahle, sowie Vertheilungen von Geschenken an die Armen und ein Kinder- gesangssest folgten. Dabei würden die zehn Gebote und Swedenborg's Aus­führungen über die Agapen (Liebesmahle) vorgelesen. Anspielungen auf Sweden­borg's Mystik wies Herr Decembre mit dem Bemerken ab, daß diese nicht nach seinem Geschmack sei. Im klebrigen begnügte er sich mit einem Hinweise darauf, daß seine in Paris aus zweihundert Köpfe beschränkte Gemeinde Fortschritte mache, daß sie einer vier Millionen Seelen zählenden Gesammtgemeinschaft an­gehöre, daß diese auf dem Kongreß von Chicago zahlreicher vertreten gewesen sei alsirgend eine andere Religion" und daß das u. A. damit Zusammen­hänge, daß die Swedenborgianer den Frauen besonders weiten kirchlichen Raum lassen.

An dem vorstehenden, durch Anspielungen auf gewissePikanterien" der Swedenborg'schen Lehre von den himmlischen Freuden gewürzten Berichte läßt Herr Bois sich genügen. Die schlichte Außenseite und die moralisirende Ten­denz des Neu-Swedenborgianismus sind offenbar nicht nach seinem Geschmack, und an dem eigentlich springenden Punkte, der Frage, wie diese nüchterne, ihres früheren phantastischen Beiwerks entkleidete Doctrin auf specisisch französischem Boden hat Wurzel schlagen können, geht er gleichgültig vorbei. Nicht einmal darüber wird Auskunft gegeben, ob die Gläubigen desneuen Jerusalem" pro­testantische oder (wie die beiden Lehrer Agger und Ledru) katholische Konver­titen gewesen und ob sie die einzigen französischen Anhänger modern-protestan-

i) Dieserfrühere Richter, späterer Unterpräfect" ist offenbar mit dem Ueberfcher der Werke Swedenborg's identisch.