Kleine Religionen unserer Tage.
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Als größte und bedeutendste aller Pariser „kleinen Religionen" stellt sich der Buddhismus dar, der in der französischen Hauptstadt nicht weniger als zehntausend Anhänger gewonnen haben soll und mehrere bekannte Gelehrte, darunter den Konservator des Museums Gurmet, Henry Millaut, den Herausgeber der „kevuo orientale" Rosny (geb. 1827), den Volapükprosessor Kerkof u. s. w. zu seinen Anhängern zählt. Geleitet wird der aus Indien importirte Cultus durch einen via Chicago nach Paris gelangten „esoterischen Buddhisten von der Secte Sin-Siru", den Jromesen Horio-Toki. Seit dem l3. November 1893 hat dieser Wundermann wiederholt vielbesuchte „officielle" Gottesdienste abgehalten. Durch den theatralischen Ausbau dieser Cultus- acte ist indessen bewiesen, daß er nichts weniger als wirklicher Esoteriker der Philosophie Sakja-muni', sondern im Gegentheil Repräsentant der entarteten Form des Buddhismus sei, die in Japan ihr Wesen treibt. Herrn Bois' Bericht über die „vierhundert esoterischen Geister", die Horio-Toki unter den Falten seines reich und phantastisch verzierten Gewandes ausgesührt hat, „um die Gottheit zum Niedersteigen in seinen Körper" zu bestimmen, läßt aus einen Hokuspocus schließen, dessen Wunderlichkeiten höchstens großen Kindern imponiren können, die dem Gros der Pariser Zuschauer indessen nachhaltigen Eindruck gemacht haben sollen; an grotesken Götzenbildern, Kerzen, Blumen u. s. w. hatte man es natürlich nicht fehlen lassen. Daß Herr Clsmenceau und andere „philosophische" Freunde der Sache von der spannungsvoll erwarteten Feier des neuen Cultus wenig erbaut gewesen sind, kann man unserem Berichterstatter ohne Weiteres glauben. — Im klebrigen bedarf es nicht erst seiner, trotz ihrer Weitschweifigkeit dilettantischen Auseinandersetzungen, um die Anziehungskraft zu verstehen, welche die Lehre des indischen Königssohnes aus gewisse Schichten der Pariser Gesellschaft übt. Abgesehen davon, daß der Reiz der Neuheit aus Menschen, die im Cultus der Mode emporgekommen, mit unfehlbarer Sicherheit wirkt, treffen gewisse Tendenzen des Buddhismus mit den Stimmungen großstädtischer Blasirtheit direct zusammen. Der Zug von Ermüdung und Apathie, der durch die buddhistische Betrachtungsweise wie durch alles indische Wesen geht, entspricht der kkeber- sättigung und Knochenlosigkeit eines Geschlechts, das von Allem im Uebermaß gekostet hat und bei der wohlseilen Weisheit angelangt ist, alle Momente irdischer Existenz gleich werthlos zu finden. Andererseits läßt der Atheismus der buddhistischen Lehre bei Jüngern des Materialismus verwandte Saiten anklingen. Heber die Strenge des buddhistischen Sittengesetzes sieht man dabei hinweg, wie man über Alles hinwegsieht, was die Gewohnheiten sinnlichen Behagens stören könnte, um bei der Trostlosigkeit dieser Doctrin stehen zu bleiben und' die eigene innere Leere mit einer Haudvoll anständig klingender philosophischer Redensarten zu überkleiden. Mit der emphatisch bekannten neuen Doctrin nehmen viele ihrer angeblichen Bekenner es so wenig genau, daß sie mit eklektischer Weitherzigkeit auch „Jesus und Plato" gelten lassen, soweit das mit der Bequemlichkeit vereinbar ist. So bestätigen Herrn Bois' Berichte zum Uebersluß, was auch anderweit bekannt geworden war — daß der Pariser Buddhismus den neumodischen Deckmantel für eine Religionslosigkeit bildet.