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Deutsche Rundschau.
In den ersten Kapiteln wird erzählt, wie die Kandidatur des Prinzen von Hohenzollern von einem spanischen Staatsmann angeregt wurde, nachdem andere Versuche, einen geeigneten König zu finden, gescheitert waren; wie der Prinz dreimal ablehnte und erst dem vierten Antrag nachgab. Das folgende Kapitel schildert die Aufregung in Frankreich, ihre künstliche Steigerung durch den Herzog von Gramont, die entgegenkommende Haltung des Königs Wilhelm, der dem Prinzen die Annahme der Kandidatur stets Widerrathen hatte, aber nach der schon bei der rumänischen Frage kundgegebenen Auffassung des Hausgesetzes nicht glaubte geradezu verbieten zu dürfen. Gegenüber der beleidigenden Form, mit der die französischen Politiker am 6. Juli diese Angelegenheit behandelt hatten, konnte die Güte und Freundlichkeit des Königs als Schwäche gedeutet werden, und Bismarck glaubte, diese Politik nicht mitmachen zu können und den Abschied nehmen zu müssen. Aber als nun Gramont den König mit der neuen Forderung drängte, einen Entschuldigungsbrief an den Kaiser zu schreiben oder eine ähnliche Erklärung abzugeben, da brach er die Verhandlungen ab und ertheilte Bismarck den Auftrag, diese Thatsache öffentlich kund zu geben. Bismarck that dies in jener, in ihrer Einfachheit so packenden Erklärung, um die der niedrige Haß die Lüge von der Fälschung der Emser Depesche gewoben hat. Shbel erzählt dies Altes auf dreißig Seiten, die das dritte Kapitel bilden, und aus das Vortrefflichste. Man sieht ordentlich, wie es als ein Alp auf dem Lande lastet, und wie das Volk ausathmet nicht nur, sondern in begeisterten Jubel ausbricht, als Bismarck in unzweideutigen Worten bekannt gibt, daß der König die französische Forderung zurückgewiesen habe. In den beiden letzten Kapiteln erleben wir denn die Kriegserklärung Frankreichs und ihre Aufnahme in Deutschland, diese unvergeßlichen Tage ernstester Spannung, freudigster Hingabe und auf der anderen Seite die vergeblichen Versuche Gramont's, Oesterreich, Italien und Dänemark zu Alliirten zu gewinnen. Hier konnte Sybel zum Theil auf Grund ungedruckten Materials die Legende zerstören, die durch Gramont verbreitet ist, daß Oesterreich sich zur Hülfe bereit erklärt habe. Beust hat damals eine sehr zweideutige Rolle gespielt, aber abgesehen von der Haltung Rußlands, verbot die Stimmung Ungarns ein Bündniß mit Frankreich. Gras Andrassy erklärte, daß man in Ungarn nichts wissen wolle von einem Versuche, für Oesterreich die alte Stellung in Deutschland zurückzugewinnen. Sehr glücklich und lehrreich ist endlich der Abschnitt über die Verhandlungen mit Italien. Das alte Prestige Napoleon's und dann das Gefühl der Dankbarkeit gegen den langjährigen Gönner verwirrten den Blick des Königs Victor Emanuel. Sella's Festigkeit und die ultramontanen Eiferer in Paris haben ihn davor bewahrt, in Frankreichs Verhängniß verwickelt zu werden.
Jede tiefere Betrachtung großer geschichtlicher Processe führt uns vor die Räthsel des Daseins, macht uns stille und gedankenvoll. Auch die laute Freude schweigt, und der Zorn schwindet, der uns etwa im Lause der Betrachtung ergriffen hat, wir vergessen den Gegensatz der Parteien und Völker, wir beugen uns unter die gewaltige Hand, die die Geschicke wägt. So scheiden wir auch von Sybel's Buch.