Heft 
(1894) 82
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Hendrik Witbooi.

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und Tsaobis bei Plaatklip ein Gefecht geliefert. Wenn nun auch im Allgemeinen die Hottentotten Witbooi's nicht als tollkühn oder nur besonders tapfer zu bezeichnen sind, so kann man ihnen doch einen großen persönlichen Muth in Fallen, wo ihn die Lage fordert, nicht absprechen. Die Herero's dagegen besitzen von dieser Eigen­schaft nur ein ganz verschwindendes Maß und können sich fast nie entschließen, nnzugreifen. Selbst in der Verfolgung sind sie äußerst zaghaft; sie verstanden es meistens so einznrichten, daß sie keinen Hottentotten mehr erwischen konnten; einmal haben sie sogar einen Tag lang im Versteck gelegen, nur um den Leuten Hendrik's einen gehörigen Vorsprung zu lassen.

Der persönliche Muth Hendrik Witbooi's ist häufig angezweiselt worden, und der Bericht des Majors Leutwein über die Gefangennahme Hendrik's besagt, daß dieser beim Angriff stets der Letzte, beim Rückzug dagegen immer der Erste gewesen sei. Das Ansehen, das Hendrik Witbooi genoß, und die Bedeutung, die man ihm beimaß, machen es jedoch wahrscheinlich, daß seine Leute seine Person in möglichster Sicherheit gehalten zu sehen wünschten, ebenso wie dies von jedem General er­wartet wird, der die Führung seiner Truppe in der Hand behalten will; anderer­seits spricht aus vielen kleinen Episoden der Kämpfe, vor Allem aus dem zähen Widerstande des Häuptlings ein tapferer Sinn. Man möchte sogar eher sagen, daß Etwas davon aus die Hottentotten übergegangen und die große Ausdauer in schlechten Zeiten, mit Hunger und Durst, mit dem Verfolger auf den Fersen, ohne jede Aussicht auf Hülse, ihnen von dem Geiste des Führers eingeflößt worden sei. Dieser Geist war in jeder Beziehung unter dem Witbooistamme mächtig, ja einzig mächtig, denn es ist allgemein bekannt, daß Hendrik mit großem Erfolge aus Mannszucht Hielt, daß seine Kriegsleute streng disciplinirt waren und seinen Be­fehlen, auch wenn sie nicht unter seinen Augen waren, gehorchten. So stieß Hendrik jeden Mann, welcher sich sittlich oder am Eigenthum vergangen hatte, zeitweilig aus seinem Kriegsvolk aus; so verbot er den Genuß geistiger Getränke auf das Strengste und war endlich sehr genau in seinen militärischen Anordnungen. Jeder Mann mußte Rechenschaft über die ihm gelieferten Patronen ablegen und hatte Befehl, nur im Nothfalle zu schießeu, so daß manch ein Raubzug zu den Herero's mit Erfolg ausgesührt wurde, ohne daß ein Schuß gefallen wäre. Hendrik sorgte gut für seine Leute; die Männer waren mit Filzhut, Wollhemde, Hosen, Jacke und Stiefeln bekleidet, die Frauen und Mädchen besaßen Kattunkleider und wollene Umschlagtücher. Die Kinder gingen nackend, mußten aber täglich die Schule be­suchen und ebenso wie alle Erwachsenen an dem Gesang geistlicher Lieder theil- nehmen. Die Beute ließ Hendrik gleichmäßig vertheilen, so daß jede Familie genügend Milchvieh zu ihrer Ernährung hatte; der Rest blieb allgemeiner Besitz, von welchem Waffen, Munition, Pferde und Kleider beschafft wurden. Witbooi hatte also das Muster eines biblisch-communistischen Staates geschaffen, welches sich, Dank seiner energischen Leitung, auch Wohl durchführen ließ.

Seitdem Hendrik das Kriegsleben begonnen, war kein Missionar mehr ständig auf seiner Werst, dagegen hielt er selbst Andachten ab, ließ zum Harmonium singen, und alle seine Leute mußten, wenigstens äußerlich, sich zum Christenthum bekennen. Im Sommer 1892 war die Kriegslust unter den Leuten Hendrik's sehr geschwunden, und sie drangen in ihren Häuptling, Frieden mit den Herero's zu schließen. Hendrik gab nach und begann durch Vermittelung des Bastardhäuptlings van Wyk Unterhandlungen, welche jedoch im Frühjahr 1893 noch zu keinem Resultate ge­kommen waren. Es wurde damals behauptet, Hendrik's Plan sei, ein Bündniß der eingeborenen Stämme zu schaffen, dessen Spitze sich zum einheitlichen Vorgehen gegen die deutsche Schutztruppe auf Windhoek richten solle. Kenner des Landes und der Leute waren jedoch der Meinung, daß Hendrik Witbooi die Herero's zu genau kannte, als daß er erwartet hätte, diese würden sich zu einem Angriff ent­schließen, ehe sie selbst angegriffen worden wären. Genug, dieses Gerücht veran­laßt den Reichskanzler, 250 Mann Schutztruppe an Stelle der bisherigen 50 nach

Deutschs Rundschau. XXI, 5 . 19