Heft 
(1894) 82
Seite
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Der chinesisch-japanische Consiict.

^Nachdruck untersagt.j

Der bisherige Verlauf des chinesisch-japanischen Krieges ist in mehr als einer Beziehung reich an lleberraschungen gewesen. Während von vornherein angenommen werden konnte, daß die japanischen Truppen sich den chinesischen in Ausrüstung, Tapferkeit und Führung überlegen zeigen würden, mußte man nach den im Jahre 1860, sowie während des Taiping-Aufstandes und des Krieges in Tongking ge­machten Erfahrungen voraussetzen, daß auch die Chinesen sich mit Bravour schlagen, und wenigstens dort, wo sie durch das Terrain oder Verschanzungen unterstützt waren, ihren Gegnern den Sieg schwer machen würden. In dieser Beziehung hat man sich, wenigstens bis jetzt, gründlich getäuscht gesehen; den verschiedenen Nieder­lagen der Chinesen ist durch ihre erbärmliche Vertheidigung Port Arthurs und die Art, wie sie die Festungswerke, Docks und sonstigen Anlagen dieses Hafens den: Feinde unversehrt überlassen haben, die Krone aufgesetzt worden, denn bei nur einigermaßen guter Vertheidigung, und nachdem die Chinesen Monate gehabt hatten, um die weniger befestigte Landseite durch Feldverschanzungeu zu verstärken, hätte Port Arthur auch einem tüchtigen Gegner einen langen Widerstand entgegenzu­setzen im Stande sein müssen. Niemals aber hätte es den Japanern in einem Zustande in die Hände füllen dürfen, der ihnen erlaubt, es zum Stützpunkt weiterer Operationen zu machen. Nur die Flotte, deren Bemannung sich doch theilweise. unter äußerst ungünstigen Verhältnissen, gut geschlagen hat, bietet ein etwas besseres Bild, und in der Mandschurei scheinen die chinesischen Führer und Truppen sich in der letzten Zeit so weit ermannt zu haben, daß sie dem japanischen Vordringen einen entschiedeneren und nicht erfolglosen Widerstand leisten.

Trotz dieser erbärmlichen chinesischen Haltung und trotz ihrer Siege stehen die Japaner heute noch weiter von Peking entfernt, als die Verbündeten englisch­französischen Truppen 1860 nach der Landung bei Petang. Aus dem militärischen Spaziergang nach der Hauptstadt, den Viele voraussahen und voraussagten, ist also nichts geworden, und China hat somit Zeit und Gelegenheit gehabt, aus den entfernteren Provinzen neue Kräfte heranzuziehen, die Ausrüstung seiner Armeen zu verbessern und zu vervollständigen und durch das Engagement fremder Jnstruc- teure seinen Soldaten das Selbstvertrauen zu geben, das ihnen bis jetzt so sehr gefehlt hat.

Die Lage für China würde also durchaus nicht eine so verzweifelte sein, wie dies vielfach behauptet wird. Nicht China ist zusammengebrochen, sondern einzelne politische Persönlichkeiten, die aus nicht recht klaren Gründen vom Beginn des Con- slicts an es vorgezogen haben, nach Frieden zu jammern, statt in energischen An­strengungen zur Vertheidigung das sicherste Mittel zu fehen, billige und ehrenvolle Bedingungen für denselben zu erhalten.

Die Gefahr der Lage besteht aber für China sowohl wie für die neutralen Mächte viel weniger in den bisherigen militärischen Erfolgen der Japaner, als in der in Europa lange nicht genug gewürdigten Thatsache, daß die jetzigen Leiter der