Der chinesisch-japanische Conflict.
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japanischen Politik durchaus nicht als in ihren Entschlüssen frei angesehen werden können, sondern sehr wesentlich von dem Drängen der radicälen Partei beeinflußt werden, deren Programm aus Ueberhebung und Fremdenhaß beruht.
Die Entführung des Mikado nach Hiroshima entspricht nur den alten lieber- lieferungen der japanischen inneren Politik; wer die Person des Mikado besitzt, wird als der legitime Vertreter seines Willens angesehen. In den Kreisen der japanischen Politiker hat der Mikado freilich schon längst jede wirkliche Bedeutung verloren — ich erinnere mich, daß bereits 1871 die sich damals in Berlin auf- haltenden japanischen Studenten, von denen heute viele hohe Stellungen einnehmen, die Frage erörterten, ob ein Kaiserthum oder eine Republik die Wünschenswerthere Regierungssorm für Japan sei, und daß sich die Mehrzahl nur aus Opportunitüts- gründen für das eritere entschied. Im Volke dagegen, das freilich wenig um seine Ansicht gefragt wird, besitzt der Kaiser immer noch einen großen moralischen Einfluß, den anch seine Modernisirung nicht vollständig zu zerstören vermocht hat. Aber trotzdem die im Amt befindlichen Minister sich so der Person des Herrschers versichert haben, wird die radicale Partei maßgebend auf den Gang der in Aussicht genommenen Friedensverhandlungen einwirken; denn weder Graf Jto noch einer seiner Collegen werden wagen, vor das japanische Parlament mit einem Frieden zu treten, der nicht die Forderungen der Partei des Grasen Okuma und Genossen befriedigt. Diese Forderungen sind eingestandener Maßen die Eroberung Pekings und die Demüthigung Chinas und selbstverständlich, wenn auch nicht besonders erwähnt, gewisse materielle Vortheile, als welche von den stets mehr oder weniger von einzelnen hervorragenden Persönlichkeiten beeinflußten japanischen Zeitungen eine hohe Kriegsentschädigung und die Abtretung von Formosa, Liaotung und Shinking, d. h. dem südlichen Theil der Mandschurei, genannt werden. Der Phantasien von der Zerstücklung Chinas, der Reorganisation der chinesischen Armee durch die Japaner und besonderen Handelsvortheilen für die Japaner braucht hier Wohl nicht Erwähnung zu geschehen; aber schon die angeführten Bedingungen, namentlich was die Gebietsabtretungen anbetrifft, sind der Art, daß kein chinesischer Staatsmann sich bereit finden dürfte, denselben zuzustimmen, ehe die Japaner nicht ganz andere Erfolge als die bisher errungenen aufzuweisen haben. — Es ist also nicht unwahrscheinlich, daß der Krieg fortdauern und damit an die Japaner die Nothwendigkeit herantreten wird, noch größere Opfer zu bringen, als sie dies bisher gethan haben.
Unter den vielen Dingen, die die Japaner vom Auslande gelernt haben, nimmt die ausgiebige und geschickte Benutzung der Presse einen hervorragenden Platz ein. Vom Kriegsschauplatz dringen nur die spärlichsten Nachrichten in die Öffentlichkeit, und Alles, was an den Erfolgen der Japaner Zweifel erwecken oder dieselben als mit zu großen Opfern erkauft erscheinen lassen könnte, wird sorgfältig verschwiegen. Trotzdem wird man wohl nicht irren, wenn man annimmt, daß die Verluste an Menschen recht beträchtliche sind, und daß die angebliche Begeisterung, mit welcher die Bevölkerung der Regierung ihre Ersparnisse zu geringen Zinsen zur Verfügung gestellt haben soll, wenn sie überhaupt je in dem angegebenen Maße bestand, eine recht erhebliche Abkühlung erlitten hat.
Alles in Allem darf mau die Sachlage Wohl dahin zusammenfasseu, daß, während die Japaner durch gute Organisation Wohl vorbereitete militärische Erfolge errungen haben, dieselben doch noch durchaus nicht der Art sind, um die Chinesen zu nöthigen, sich dem Sieger aus Gnade oder Ungnade zu unterwerfen. China ist im Gegentheil noch vollständig im Stande, sich der Angriffe seiner Nachbarn zu erwehren, die bis jetzt nur die äußeren Grenzen des großen Reiches angeschnitten haben, und Japan durch Ermüdung und Erschöpfung zum Ausgeben seines Unternehmens zu zwingen. Ein solcher Erfolg, für den der Umfang und die Bevölkerungszahl Chinas einen sehr wesentlichen Factor bilden würden, hängt allerdings wesentlich davon ab, ob die leitenden chinesischen Staatsmänner sich zu