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Deutsche Rundschau.
dem Entschluß, energischen Widerstand zu leisten, aufraffen werden, oder ob ihnen derselbe durch die übertriebenen Forderungen der Japaner ausgezwungen werden wird. Jedenfalls würde ein solcher Entschluß und seine Durchführung nicht nur im Interesse Chinas, sondern auch der Vertragsmächte und ganz besonders Deutschlands liegen.
Deutschland hat China in dem ihm ausgedrängten Kriege bisher wenig Sympathien entgegenbracht; die öffentliche Meinung und die Presse haben vielmehr um das japanische Kalb getanzt, wie weiland 1848 um das polnische. Es ist dies um so bedauerlicher, als die deutschen Interessen mit am meisten unter einer Veränderung der bisherigen Lage der Dinge in Ostasien zu leiden haben würden. Was zuerst Japan anbetrifft, so ist es durchaus irrthümlich, die Annahme europäischer Cultur durch die regierende Classe — denn nur um diese und auch um sie nur theilweise handelt es sich — irgend welchem ethischen Bedürsniß zuzuschreiben; es hat sich vielmehr bei derselben nur darum gehandelt, möglichst bald auf Grund der fremden Cultur und Tracht die politische und sociale Gleichstellung mit den Kaukasiern verlangen zu können. Im Uebrigen ist der Japaner das geblieben, was er war, und man braucht ihn gar nicht sehr zu kratzen, damit unter dem schwarzen Gehrock und der engen Hose der Asiat zum Vorschein komme, der den Fremden viel mehr haßt und — wenn man die Wahrheit sagen will — viel mehr verachtet als der lymphatischere Chinese. Nebenbei ist der Japaner auch auf industriellem Gebiete der Concurrent der Europäer, und er hat seit einem Jahrzehnt besonders der deutschen Industrie gegenüber das getrieben, was wir in der Heimath unlauteren Wettbewerb zu nennen pflegen; das heißt, er hat deutsche Schutzmarken aller Art ungescheut nachgemacht und mit Hülfe derselben unseren Handelsverkehr in China ernstlich geschädigt.
Fragt man nun, welchen Vortheil für Europa und besonders für Deutschland der Sieg der Japaner bringen würde, so hört man oft die Antwort: Die Chinesen ordentlich aufzurütteln und der westlichen Cultur zugänglich zu machen. Wenn man darunter versteht, aus China einen Militär- oder Industriestaat nach europäischen Anschauungen zu machen, so ist wirklich schwer zu begreifen, welche Vortheile sich daraus ergeben könnten. Ein halbes Dutzend Bankiers würde gute Geschäfte mit chinesischen Anleihen machen, ein Dutzend Industrieller mit dem Verkauf von Maschinen für größere Fabrikanlagen desgleichen, und dann? Haben wir ein Interesse daran, unseren Arbeitern das Brot vom Munde zu nehmen, indem wir durch Anlegung und Beförderung industrieller Unternehmungen in China selbst nicht nur unsere Ausfuhr nach dort schmälern, sondern auch noch chinesische Con- currenz auf unseren Märkten groß ziehen? Oder würden wir in dem Falle die Einfuhr in China gefertigter Waaren verhindern, wie heute schon einzelne Staaten sich der Einwanderung chinesischer Arbeiter widersetzen? Und würde ein militärisch erstarktes China sich eine solche Behandlung gefallen lassen, oder würde es nicht vielmehr, wie der japanische Minister der auswärtigen Angelegenheiten am 14. Februar 1894 dies dem britischen Geschäftsträger, Herrn von Bunsen, gegenüber that, erklären, daß es zu anderen Mitteln greifen werde, um das durchzusetzen, was es als sein Recht betrachte, wenn seine Vorschläge in London nicht die gewünschte Beachtung fänden?
Und den anderen Fall gesetzt, daß Japan China zwänge, ihm Formosa, die südliche Mandschurei und Liaotung abzutreten, wie lange würde es dauern, bis Rußland den anderen Theil der Mandschurei und das neue Gebiet an sich risse, bis Frankreich nach Mnnan und Kwangsi hinübergriffe, ja seine Hand vielleicht nach Cauton ausstreckte und England sich durch andere Erwerbungen chinesischen Gebiets schadlos hielte? Glaubt man etwa in Deutschland, daß wir in Gebieten unter französischer, russischer oder japanischer Herrschaft so unbehindert und unter so vortheilhaften Bedingungen Handel und Schiffahrt würden treiben können, wie dies geschieht, so lange sie zu China gehören? Was wir von französischen und