Ter chinesisch-japanische Conflict.
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russischen schutzzöllnerischen Tendenzen zu erwarten haben, wissen wir, und der Japaner ist sicherlich ein noch viel schlimmerer Schutzzöllner als die beiden, nur daß er bis jetzt nicht in der Lage gewesen ist, seinen Gelüsten so nachgehen zu önnen, wie er dies wohl gewünscht hätte.
Es wäre aber auch möglich, daß Japan das Ziel erreichte, welches wenigstens einzelnen seiner Staatsmänner als das wünschenswertheste erscheint, d. h. eine Verständigung mit China, die ihm dessen Hülssmittel gegen das Ausland zur Verfügung stellte; wie würde uns die Uebertragung der Monroe-Doctrin aus Ostasien, „Asien sür die Asiaten", gesallen? Und würde die mögliche politische Wirkung, die eine solche Kombination aus Rußland ausüben könnte, den Schaden ersetzen, den unser Handel unbedingt dadurch erleiden müßte?
Die Phrasen von der Eröffnung des ganzen China und dem civilifatorischen Einstuß des Auslandes auf dasselbe sind sür den, der die Verhältnisse kennt, ohne jeden praktischen Werth. Welchen Einfluß das Ausland übt, haben wir zur Genüge in der uns näher liegenden Türkei gesehen, wo die Leute als die besten gelten, die am wenigsten von der europäischen Kultur berührt worden sind. Die Eröffnung des ganzen Landes ist eine Forderung, über deren Tragweite Diejenigen, die sie stellen, sich Wohl kaum klar geworden sein dürsten. Die Pioniere der Civilisation, die sich einige hundert Meilen von einem der geöffneten Häsen entfernt im Jnlande niederlassen würden, dürften, nach allen bisherigen Erfahrungen zu urtheilen, nicht gerade dre sür die Verbreitung westläudischer Kultur geeignetsten Persönlichkeiten sein; sie würden außerdem nicht allein jedes thatsächlichen Schutzes, sondern auch jeder Aussicht entbehren und daher zu Zuständen Veranlassung geben, die die Macht, der sie angehören, nur zu oft vor das Dilemma eines Consticts oder eines würdelosen Geschehenlassens stellen müßten. Außerdem ist es Thatsache, daß in einer großen Zahl der bis jetzt geöffneten Häsen wenige oder keine europäischen Handlungshäuser sich niedergelassen haben, und der Verkehr fast ausschließlich in den Händen der Chinesen liegt. Auch darf nicht übersehen werden, daß eine derartige, von japanischer Seite gestellte Forderung um so eigenthümlicher sein würde, als die japanische Regierung selbst durchaus nicht die Absicht hat, die Chinesen in das Innere Japans zuznlasien, wie es denn überhaupt noch zweifelhaft ist, welche Stellung die radicale Partei der in den jüngst abgeschlossenen Verträgen vereinbarten Zulassung anderer Ausländer ins Innere gegenüber einnehmen wird.
Der Lage in Korea ist in Vorstehendem nicht Erwähnung geschehen; aber selbst dem Voreingenommensten muß während der letzten sechs Monate klar geworden sein, daß die japanische Civilisation den Bewohnern des Reichs der Morgenruhe nur mit Gewalt ausgezwungen werden kann, und daß es Zehntausende, wenn nicht Hunderttausende von Opfern kosten wird, bis der Koreaner die Segnungen eines parlamentarischen Regimes, einer politischen Presse und europäischer Kleidung über sich ergehen läßt.
Es gibt andere Mittel und Wege, Reiche der Civilisation zu erschließen und zuznsühren, als gezogene Geschütze und Gewehre, und die Welt hat kein Interesse daran, in Ostasten einen Staat entstehen zu sehen, der, wie Frankreich in Europa, durch seine ungezähmte und lange unbestrafte Eitelkeit, Ruhm- und Ländergier seinen Nachbarn eine Geißel und allen Staaten ein Gegenstand fortwährender Be- sorgniß wird. Daß Japan aber das werden würde, wenn sein Ueberfall China's auch nur einen Theil der Erfolge zeitigte, die es von demselben erhofft, kann selbst sür seine Freunde Wohl kauni einem Zweifel unterliegen; es würde daher in dem Interesse seiner eigenen gedeihlichen Weiterentwicklung sein, wenn es durch den erfolgreichen Widerstand der Chinesen oder andere äußere Veranlassungen daran erinnert würde, daß Eitelkeit und Ruhmsucht schlechte Berather sind, und die Aera willkürlicher, durch keine zwingenden ethischen Nothwendigkeiten gebotener Ausbrüche auch für Ostasien vorüber ist. M. v. Brandt.