Politische Rundschau.
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hingewiesen, daß den von Tanlongo, dem betrügerischen Leiter der Banca Romana, herrührenden Schriftstücken überhaupt keine Beweiskraft beigemessen werden dürste; nmsonst wurde daran erinnert, daß eine große Anzahl dieser Papiere aus der früheren Untersuchung längst bekannt wäre, während die neuen gar nichts zu beweisen vermöchten. Die Kammer befand sich eben in einer Erregtheit, durch die jede ruhige Ueberlegung und Discussion ausgeschlossen war.
Unwillkürlich mußte man an die Vorgänge erinnert werden, die sich am 30. März 1885 beim Sturze Jules Ferry's in der französischen Deputirtenkammer abspielten. Wer vermöchte jetzt nach dem frühzeitigen Tode Jules Ferry's zu leugnen, daß die französische Republik in ihm den hervorragendsten Staatsmann des letzten Jahrzehntes verloren hat! Ihm war es damals auch gelungen, einen im Wesentlichen günstigen Frieden mit China einznleiten, als die Meldung von einer Schlappe, welche die französischen Expeditionstruppen in Tongking erlitten haben sollten, zu einem parlamentarischen Anstürme Veranlassung bot, dem Jules Ferry nicht erfolgreichen Widerstand zu leisten vermochte. Allen Elementen der Opposition mußte die in Tongking erlittene Schlappe als willkommener Vorwand dienen, und ein Theil der Regierungspartei wurde, wie es in solchen Fällen der parlamentarischen Ueberrumpelung zu geschehen Pflegt, mit sortgerissen. Unter den Nachwirkungen des Sturzes Jules Ferry's hat dann die gesammte Politik Frankreichs schwer leiden müssen; die Genugthuung, die dem französischen Staatsmanne kurze Zeit vor seinem Hinscheiden zu Theil wnrde, vermochte auch daran wenig zu ändern.
Hütte nun der leitende italienische Staatsmann gleichfalls die Kammer sich selbst überlassen, so wäre diese unzweifelhaft von den Cavalloktis und Jmbrianis nicht minder zu den heftigsten Debatten, zu völlig übereilten Entschließungen getrieben worden. Mit staatsmännischem Blicke erkannte nun Crispi diese Gefahr und schlug dem Könige Umberto, in Uebereinstimmung mit dem gesammten Cabinet, die Vertagung der Deputirtenkammer vor. Wie berechtigt und angemessen diese vorläufige Lösung der parlamentarischen Krisis war, erhellt deutlich aus der That- sache, daß der Senat, dein das für ihn in Betracht kommende Beweismaterial Giolitti's unterbreitet wurde, sehr bald zu dem Ergebnisse gelangte, daß es sich in der That nur um theils nnerwiesene, theils belanglose Anschuldigungen handelte, die zumeist längst bekannt waren. Wenn es aber noch eines Beweises dafür bedürfte, daß der seiner Zeit von den römischen Geschworenen seltsamerweise für nichtschuldig erklärte Tanlongo sicherlich nicht als Rassischer Zeuge angesehen werden darf, so braucht nur daraus hingewieseu zu werden, daß Italiens größter gegenwärtig lebender Dichter, Giosuo Carducci, der durch das Vertrauen des Königs in den Senat berufen worden ist, sich nach den von Giolitti überreichten Schriftstücken unter denjenigen befinden sollte, die der Banca Romana verpflichtet wären. Nun gilt gerade Giosuo Carducci in Italien Wohl als der makelloseste Charakter. Oft genug sind ihm von der Regierung äußere Auszeichnungen und Vortheile jeder Art angeboten worden, die er aber sümmtlich abgelehnt, wie er denn auch unter Anderem vorgezogen hat, anstatt einem glänzenden Ruse an die römische Universität zu folgen, mit bescheidenem Gehalte an der Universität Bologna sortzuwirken und in seinem kaum mäßigen Ansprüchen genügenden Heim unweit der schiefen Thürme Garisenda und Asinelli den Musen und der Wissenschaft zu leben. Köstlich muß die Scene gewesen sein, die sich zwischen dem der Weltliteratur angehörenden Dichter des „Inno a 8atanuZ des ..Hymnus an Satan", und dem mit der Prüfung der Papiere Giolitti's betrauten Senatsausschusse abspielte, als er vor diesem schalkhaft erklärte, daß er zwar das alte Iwrum arZonturiorum in Rom kenne, daß er jedoch nicht einmal wisse, wo sich die Banca Romana in der modernen Hauptstadt Italiens befinde. Daß Giosuo Carducci nie in seinem Leben einen Wechsel bei dem von Tanlongo geleiteten Institute versilbert hat, mußte allerdings seinen Kollegen im Senate von Anfang an unzweifelhaft erscheinen. Um so beachtenswerther ist