Heft 
(1894) 82
Seite
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Politische Rundschau.

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Die Franzosen erblicken eben in Crispi nicht nur den Vertheidiger einer ener­gischen Politik im Innern, sondern auch den hauptsächlichen Vertreter des Dreibundes, den sie erschüttern zu können glauben, sobald der leitende italienische Staatsmann von der politischen Schaubühne verschwunden ist. Als ob nicht das Königreich mit Rücksicht aus die Bestrebungen der sranzösischen Republik, ihre Macht­sphäre am Mittelländischen Meere immer weiter auszudehnen, mit Nothwendigkeit daraus hingewiesen wäre, an dem Bündnisse mit Deutschland und Oesterreich-Ungarn sestznhalten. Gerade in jüngster Zeit ist wieder durch die Vorgänge in der Colonie Eritrea erhärtet worden, daß seit der Einnahine Kassala's durch die italienischen Streitkräfte die Eifersucht Frankreichs gewachsen ist. Abessinien soll den Franzosen gewisserinaßen als Operationsbasis dienen, während Italien auf Grund der früher abgeschlossenen Verträge das Protectorat über dieses Land in Anspruch nimmt. Der erfolgreiche Recognitionsmarsch des Generals Baratieri nach Adua, der Haupt­stadt von Tigrö, das, im nördlichen Theile Abessiniens gelegen, früher ein eigenes Reich bildete, bezweckte denn auch, für den Fall eines von den Derwischen ge­machten Versuches, für ihre Niederlage bei Kassala Revanche zu nehmen, nach Abessinien hin sich den Rücken zu decken. Daß König Menelik unter diesen Ver­hältnissen bereit sein würde, Rathschlägen, die ihm von wenig friedliebender Seite ertheilt worden sind, Gehör zu schenken, durste ohne Weiteres angenommen werden. Inzwischen dürfte der Sieg, den General Baratieri über den Ras Mangascha davon­getragen, den Kriegseifer der Abessinier bedeutend abgekühlt haben.

An Symptomen eines unfreundlichen Verhaltens der Franzosen fehlt es auch im klebrigen nicht, so daß die Italiener mehr als jemals im Dreibunde die sicherste Bürgschaft für die Wahrung ihrer Staatsinteressen erblicken müssen. Selbst wenn Crispi wider alles Erwarten zurücktreten sollte, würde doch in der auswärtigen Politik keine Veränderung eintreten.

Dieses gilt nicht minder in Bezug aus Oesterreich-Ungarn, wo der Rücktritt des Ministerpräsidenten Wekerle zunächst keinen Systemwechsel bedeutet. Freilich fehlte es nicht bereits an Stimmen, die sich in dem Sinne vernehmen ließen, daß durch die Ministerkrisis in Ungarn zugleich die Stellung des Leiters der gemeinsamen auswärtigen Politik, Grafen Kalnoky, erschüttert werden könnte. Die Widerfacher dieses Staatsmannes sehen sich jedoch in ihren Erwartungen getäuscht, wie denn auch mit vr. Wekerle die liberale Partei in Ungarn durchaus nichtabgewirth- schaftet" hat. Obgleich die kirchenpolitischen Gesetze, die den Mittelpunkt des ge­summten politischen Interesses bildeten, nach anfänglichem Widerstande nicht bloß die Zustimmung der ersten Kammer, sondern auch die Sanction des Königs von Ungarn erhalten haben, ließ sich doch erkennen, daß eine Verstimmung zwischen diesem und dem Ministerpräsidenten Wekerle entstanden war. Daß sachliche Er­wägungen dabei eine entscheidende Rolle spielten, erscheint ausgeschlossen, da Kaiser Franz Joseph mit dem von seinem bisherigen ersten Rathgeber in Ungarn be­folgten System nicht brechen will. Vielleicht wirkte auf die Entschließungen des Kaisers und Königs der Umstand ein, daß der ungarische Ministerpräsident bei Gelegenheit erklärt hatte, er würde nur einem Votum der zweiten Kammer weichen. Jedenfalls darf vr. Wekerle für sich das Verdienst in Anspruch nehmen, in schwieriger Zeit seinem Vaterlande treue Dienste geleistet und, auf die Gefahr hin, die eigne Stellung zu gefährden, an der einmal gewonnenen Ueberzeugung fest- gehalten zu haben.

Der Umstand, daß zunächst der gleichfalls der liberalen Partei angehörende Gras Khuen-Hedervary als Nachfolger Wekerle's berufen werden sollte, legte Zeugniß dafür ab, daß nicht die Absicht bestand, an der jüngsten kirchenpolitischen Gesetz­gebung zu rütteln. Hatte sich doch Graf Khuen-Hedervary mit dem beim jüngsten Neujahrsempfange in Pest als unerläßliche Forderungen der liberalen Partei in Ungarn aufgestellten Programme einverstanden erklärt, das sich dahin zusammen­fassen läßt: Beendigung der begonnenen kirchenpolitischen Action, loyale Durch-