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Deutsche Rundschau.
führung de«: kircheupolitischen Gesetze, Festhalten an dem Ausgleiche von 1867 und „Verstaatlichung" der Verwaltung. Nachdem nunmehr die ungarische Krisis mit der Berufung des gleichfalls der liberalen Partei angehörenden Grafen Desider Bansfy ihren Abschluß erhalten hat, darf gehofft werden, daß Ungarn, das sich insbesondere auch in wirthschaftlicher Hinsicht fortentwickelt, in Zukunft auf dieser Bahn beharren wird. Gerade in Ungarn ist gegenüber den tschechischen und anderen Bestrebungen diesseit der Leitha stets das treue Festhalten an dem Bündnisse mit Deutschland und Italien betont worden, wie denn auch neben den Deutschen die Ungarn als der sicherste Schutz gegen das Ueberwuchern des Slaventhums gelten dürfen.
Hervorgehoben zu werden verdient, mit welchem Eifer in Frankreich allen vermeintlichen Symptomen nachgespürt wird, aus denen auf eine Lockerung des Dreibundes Schlüsse gezogen werden sollen. Wurden in diesem Zusammenhänge bereits die jüngsten Vorgänge in Italien genannt, durch die die Stellung Crispi's erschüttert sein sollte, so mußte auch die Ministerkrisis in Ungarn demselben Zwecke dienen. Gerade in Frankreich fehlte es aber nicht an eigenen schweren Sorgen, so daß dort gar keine Veranlassung vorliegt, dunkle Punkte am politischen Horizonte der anderen Staaten zu entdecken. Es braucht nur au die Angelegenheit des wegen Landesverrathes zu lebenslänglicher Deportation verurtheilten Capitäns Treyfus, sowie an die Amtsentsetzung des höchsten Beamten der Kolonialverwaltung in Indo-China, Lanessan, erinnert zu werden, der trotz seiner hohen Stellung nahe Beziehungen mit einem der nunmehr wegen Erpressung gerichtlich verfolgten „Geschäftspublicisten", Canivet, unterhielt. Hierzu sind als bedeutsamste Vorgänge in jüngster Zeit noch die Minister- und die Präsidentschaftskrisis gekommen. Lassen nun auch solche Vorgänge auf die inneren Verhältnisse der sranzösischen Republik grelle Streiflichter fallen, so wäre es doch verfehlt, daraus allzu weit gehende Schlüsse zu ziehen. Bot die Angelegenheit des Capitäns Dreyfus einem Theile der Pariser Presse Veranlassung, in willkürlicher Weise Deutschland, insbesondere die deutsche Botschast in Paris, in diese Affaire hinein- zuzieheu, so unterließ die französische Regierung bereits vor einiger Zeit nicht, solchen abgeschmackten Erfindungen mit Entschiedenheit entgegenzutreten, und, als einzelne Pariser Organe an ihren Phantasien sesthielten, war es wiederum das Ministerium Dupny, das durch die „^Mnoe Uavlm" die in Frankreich selbst nur von den niemals zu überzeugenden Chauvinisten herrührendeu Ausstreuungen in aller Form dementiren ließ. Immerhin muß es als die Aufgabe der besonnenen sranzösischen Presse, an der es durchaus nicht mangelt, erscheinen, die öffentliche Meinung darüber aufzuklären, welche Gefahren für die Zukunft das Verhalten derjenigen Organe birgt, die unter der Maske des Patriotismus sich vernehmen lassen, in Wirklichkeit aber zumeist aus sehr Wenig lauteren Rücksichten auf „Sensation" selbst vor den abenteuerlichsten Erfindungen nicht zurückschrecken. Die Abberufung des italienischen Botschafters in Paris, Reßmann, dessen Bestrebungen, gute freund- nachbarliche Beziehungen zwischen den beiden Ländern aufrecht zu erhalten, nahezu einstimmig von den sranzösischen Blättern anerkannt worden sind, kann jenseit der Vogesen als Warnung dienen. Hatte doch der „Preßfeldzug" gegen den leitenden italienischen Staatsmann in Frankreich einen so erbitterten Charakter angenommen, daß sogar die Persönlichkeit des Königs Umberto nicht verschont blieb. Crispi ging daher nur gemäß seinem eigenen entschlossenen Charakter vor, als er die Abberufung eines Botschafters empfahl und veranlaßte, durch dessen versöhnliche Gesinnungen Ausschreitungen der bezeichneten Art nicht verhütet werden konnten.
Das Ministerium Dupuy mußte andererseits durch den Ausgang der parlamentarischen Verhandlung über die von dem Socialisten Millerand eingebrachte Resolution, in der die Freilassung des jüngst gewählten revolutionären Pariser Abgeordneten verlangt wurde, jedenfalls in der Ueberzeugung bestärkt werden, daß thatkrüftigcs Vorgehen am sichersten zum Ziele führt. Hatten die ultraradiealeu