Heft 
(1894) 82
Seite
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Deutsche Rundschau.

mitmöglichst vielen Cautelen umgab",sich selbst aber schon etwas mehr zutraute" (S. 62), und unbestreitbar ist wenigstens, daß König Friedrich auch in späteren Jahren (1768 und 1775) in seinen geheimen Auszeichnungen die Erwerbung Sachsens wiederholt als schlechterdings nothwendig bezeichnet hat. Alle diese Aeußernngen des Königs ans den Jahren vor und nach dem siebenjährigen Kriege waren aber bekannt; neu ist nun, daß Lehmann auch aus der Zeit unmittelbar vor und während des siebenjährigen Krieges selbst Aeußernngen des Königs an- sühren zu können glaubt, in denen er seiner Absicht ans Erwerbung Sachsens un­zweifelhaften Ausdruck gegeben habe. Hierin allein liegt das entscheidende Moment: man mag jene Auszeichnungen des Königs als politische Träumereien oder als sestwurzelnde Ueberzeugungen ansehen, die Hauptsache bleibt immer, ob sich auch sür die Zeit von 1756 bis 1763 selbst solche Absichten unanfechtbar Nachweisen lassen.

Zwei Beweisstellen sind es, die Lehmann sür seine Austastung geltend macht: eine aus dem Jahre 1756, eine andere von 1759. In einem Briefe vom 19. Februar 1756, sagt der Verfasser, fragt König Friedrichseinen durch die Aussicht auf einen großen Krieg nicht gerade erbauten Bruder August Wilhelm, ob er denn das Vergnügen für gar nichts halte, Sachsen zu demüthigen oder besser gesagt zu vernichten" (ansantir 1a Faxe"). Lehmann findet hierin den unwider­leglichen Beweis der Eroberungsabsichten König Friedrich's, und überhäuft mit bitterem Tadel einen andern Gelehrten, der das Wortanäantir" durch die Wendungzur politischen Null Herabdrücken" wiedergegeben hatte. Und dennoch kommt diese Uebersetzung dem richtigen Sinne weit .näher, als Lehmann'sVer­nichten" in der Bedeutung vonErobern". Das haben ausnahmslos Alle an­erkannt, die sich seither mit diesem Briefe des Königs beschäftigt haben; ich ver­weise nur aus die Auseinandersetzungen von Wiegand in derDeutschen Literatur- Zeitung" (Nr. 51, 1894) und von Koser (Historische Zeitschrift", Band 74), der die friedliche Bedeutung jenes Schreibens außer allem Zweifel gesetzt und nachgewiesen hat, daß es sich nur um die Mattsetzung Sachsens durch den Ver­trag Preußens mit England handelt,durch einen kleinen Federstrich", wie der König selbst sagt.

Ist damit die eine Beweisstelle Lehmann's beseitigt, so werden wir finden, daß auch die zweite sür den Plan einer Eroberung Sachsens keineswegs beweis­kräftig ist. Im October 1759, als der Abfall Frankreichs von der Coalition in Aussicht stand und König Friedrich, trotz der Niederlage von Kunersdorf, den Oder- seldzug gegen Ssalthkow und Laudon glücklich beendet hatte und sich zur Wieder­eroberung Sachsens anschickte, hat er seinem Gesandten in London sür den Fall von Friedensverhandlungen einenoansvas" übersandt, den er bei den Besprechungen mit den Verbündeten Engländern als Grundlage benutzen sollte. Die Weisung ist merkwürdig genug, um hier nach ihrem Wortlaut Platz zu finden.Wir brauchen," schreibt der König,eine Salbe sür unsere Brandwunde, wenn das möglich ist. Folgendes könnte man thun: entweder Vorschlägen, daß Jeder behält, was er beim Frieden besitzt, oder wenn man tauschen will, da Preußen (Ostpreußen) und meine rheinischen Besitzungen (die in den Händen der Feinde waren) bei Weitem weniger Werth sind als Sachsen (welches er Leim Friedensschluß besetzt zu halten hoffte), so müßte man an Aequivalente denken, sei es die Niederlausitz, .... sei es West­preußen nach dem Tode des Königs von Polen, sei es irgend ein beliebiges anderes Land, wenn es nur eine Salbe sür die Brandwunde gibt. Der äußerste, schlimmste Fall (1s xis-allsr) wird die Wiederherstellung des 8tatu8 guo vor dem Kriege sein." Lehmann hat diese Weisung dahin verstanden, der König habe in erster Linie gewollt, daß Jeder durch den Frieden das behalte, was er gerade besäße. Er habe also lieber seine rheinischen Besitzungen in den Händen der Franzosen, Ostpreußen in den Händen der Russen lassen, als Sachsen herausgeben wollen (S. 65). Steht das wirklich in der Weisung, war das wirklich und ernstlich die Ansicht des Königs?