Literarische Rundschau.
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Ich denke: nein. Ich will so sehr viel Werth nicht daraus legen, daß der König nur wenige Tage später in einem neuen Erlasse an seinen Gesandten, ein sehr ausführliches Friedensprogramm entwickelt, aus Grund von Säcularisationen geistlicher Stifter, Erwerbung von Westpreußen n. s. w., ohne dabei der Abtretung Ostpreußens und der rheinischen Besitzungen an Rußland und Frankreich mit einem Worte zu gedenken. Entscheidend aber für die richtige Ausfassung der wirklichen und innersten Absichten des Königs in jenen Tagen ist ein Schreiben, in welchem Friedrichs vertrautester und eingeweihtester Cabinetssekretär, der bekannte Geheime Kriegsrath Eichel, jene Vorschläge des Königs erläutert hat. Eichel war zunächst wenig einverstanden mit den aus Vergrößerung zielenden Forderungen seines Königs (19. October); nachdem er ihn jedoch gesprochen, schreibt er beruhigt dem Minister Gras Finckenstein (14. November 1759): „So viel ich habe verstehen können, kann ich mir schmeicheln, daß alle diese Aeußerungen gewissermaßen nur Probleme sind, die der König den Engländern hinwirft, um zu sehen, wie sie denken und ob es nicht möglich ist, wenigstens entweder Kopf oder Flügel zu erwischen; zweitens um gleich von vornherein jeder Abtretung, die man vom König beanspruchen könnte, vorzubeugen; drittens wird der König an den Forderungen nicht hartnäckig sesthalten und viertens nicht den Frieden davon abhängig machen; fünftens endlich, wenn nichts von alledem erreichbar ist, so wird das Ultimatum des Königs sein: keine Abtretung von seinen alten Besitzungen, sondern Alles bleibt aus dem Fuß vor dem Kriege." Wie durfte bei einer Erörterung der Friedensvorschläge Friedrich's von 1759 das Schreiben Eichel's, welches offenbar nach eigenen Aeußerungen des Königs jene Instruction erst verständlich macht, unberücksichtigt bleiben?
Mit einleuchtender Klarheit, meine ich, ergibt sich aus diesem Schriftstücke der eigentliche Sinn jener für England bestimmten Vorschläge, die wahre Absicht des Königs. „In erster Linie" stand dem König für den Friedensschluß nicht die Erwerbung Sachsens, am wenigsten aus Kosten Ostpreußens und der rheinischen Gebiete, sondern vielmehr die Integrität der alten preußischen Besitzungen, und Jedermann weiß, wie König Friedrich in allen Bedrängnissen des Krieges an diesem Grundsatz zäh und unerschütterlich, und schließlich auch erfolgreich sestgehalten hat. Zweitens wünschte er für seine schweren Verluste möglichst eine Entschädigung, und als sicherstes Mittel zu ihrer Erreichung schien es ihm zweckmäßig, das militärische uti P088iä6ti3 beim Friedensschluß als Grundlage der Verhandlung vorzuschlagen, um dann bei dem Austausch von Sachsen gegen Ostpreußen und die schmalen Besitzungen Preußens am Rhein für den Mehrwerth von Sachsen noch eine Draufgabe herauszuschlagen, vielleicht die Aussicht aus dereinstigen Erwerb von Westpreußen, vielleicht ein Stückchen von Sachsen selbst. Nimmermehr aber wird man mit Lehmann sagen dürfen: der König habe die Herstellung des Zustandes vor dem Kriege als den „schlimmsten Ausgang" bezeichnet und lieber zu Gunsten Rußlands und Frankreichs aus Ostpreußen und die rheinischen Besitzungen, als auf Sachsen verzichten wollen.
Allein diese mißverständliche Auffassung der Weisungen König Friedrich's nach England hat bei Lehmann nicht nur zu der Annahme „intensiver Absichten" bes Königs aus Sachsen während des siebenjährigen Krieges geführt; er hat eine noch viel weiter gehende Folgerung daraus gezogen.
Unsere vaterländische Geschichtschreibung (neuerdings noch Sybel in der „Begründung des Deutschen Reiches") hat mit Nachdruck darauf immer hingewiesen, daß Maria Theresia für die Ueberwältigung Preußens den Russen Ostpreußen, den Franzosen ansehnliche Stücke der Westmark geopfert habe; nur König Friedrich's glorreicher Widerstand habe diese schwere Schädigung Deutschlands abgewendet. Lehmann bittet uns, gewiß mit Bedauern, diese „Illusion" aufzugeben: auch Preußen habe damals Deutschland verleugnet. In jenen Friedensvorschlägen habe König Friedrich „der Annexion Sachsens den Vorzug gegeben vor der Behauptung seiner Grenzlande im Osten und im Westen" (S. 89). Wenn er sich aber hierfür
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