Heft 
(1894) 82
Seite
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Deutsche Rundschau.

auf obige Weisung des Königs, und nur auf diese beruft, so ist seine Auffassung, wie wir gesehen haben, irrig: nichts, gar nichts davon liegt in den wohlverstandenen Worten des Königs. Was Lehmann eineIllusion" nennt, werden wir als eine unantastbare Wahrheit noch weiter hoch halten dürfen.

Es war unumgänglich, diese Punkte naher zu erörtern: sie bilden den Kern der Beweisführung Lehmann's. Das Ergebniß dieser Erörterungen ist nun aber: von den beiden einzigen Aeußerungen des Königs, die Lehmann als Beweis der Pläne auf Sachsen während des siebenjährigen Krieges geltend zu machen weiß, ist die eine (von 1756) durch Kofer und Wiegand, die andere (von 1759) durch die obigen Ausführungen als nicht beweiskräftig nachgewiefen worden. Damit wird der ganzen Auffassung der Boden entzogen: die ans schmalem und schwanken­dem Grunde errichtete Beweisführung bricht in sich zusammen.

Aber wenn auch für die Kriegszeit selbst eine unzweideutige Aeußerung des Königs für feine geplante Eroberung Sachsens bisher nicht ermittelt ist, so hat doch viel­leicht König Friedrich durch eine von kriegerischen und erobernden Tendenzen be­herrschte Politik selbst den Kampf von 1756 hervorgerufen und damit sich den Weg zu Annexionen geebnet? Eben dies ist allerdings Lehmann's Auffassung; wir werden zu prüfen haben, ob sie begründeter ist, als feine vorher besprochenen Beweise.

Nach Lehmann's Ansicht war Friedrich's Politik nur in den sieben Jahren

von 1746 bis 1752 eine friedfertige, seitdem hat er auf einen Krieg planmäßig

und bedachtsam hingearbeitet, und nur mit dem Angriff gewartet, bisseine eigenen Vorbereitungen fertig und die Aeußerungen und Handlungen der Gegner ihm einen fpeciofen Vorwand gaben" (S. 73). Es wäre vergeblich, wollte man Lehmann mit dem Hinweis auf die Versicherungen des Königs zu widerlegen

suchen, der wiederholt feine Friedfertigkeit bethenert, den Krieg als aufgezwungen und feinem Interesse zuwiderlanfend bezeichnet hat. Der König kann sagen, was er will: Lehmann glaubt ihm schlechterdings nichts; hat doch in dem

berufenen Testamente von 1752 der König seinen Nachfolgern empfohlen:ckissi- mnl63 vos äesseüm";es ist das Princip," sagt Lehmann,welches von jeher die Meister der diplomatischen Kunst befolgt haben: ckissimniara est regnara". Selbst einem Napoleon III. gegenüber hat Treitschke einmal vor derüberschlauen Unart" gewarnt,hinter jedem Worte der Mächtigen eine Lüge zu wittern". Lehmann verdient volle Beistimmung, wenn er, schon in einer älteren Abhandlung, bei der Benutzung der Schreiben Friedrichs's umsichtigste Prüfung und sorgsamste Auswahl zur Pflicht gemacht hat; aber sollte er jetzt nicht Kritik und Skepsis übertreiben, wenn er die in derPolitischen Korrespondenz Friedrich's des Großen" gesammelten Schriftstücke bis auf wenige bei Seite schiebt, als wären es für ein Roth- oder Blaubuch zusammengestellte und für parlamentarische Bedürfnisse zu­rechtgestutzte Actenstücke? Gewiß, Friedrich hat oft, rücksichtslos bis zum Cynismus wie er war, Grundsätze einer macchiavellistischen Politik mit herausfordernder Schadenfreude empfohlen: sollen wir darum glauben, daß er immer und überall sich durch solche Theorien habe leiten lassen; sollen wir verkennen, wie oft unter der dünnen Hülle angelernter Theorien und Maximen die innere Wahrhaftigkeit seines Wesens wie ein mächtiger Strom temperamentvoll und siegreich hervorbricht? Wer die Geschichte kennt, weiß, daß nicht diejenigen Staatsmänner immer die wahrhaftigsten sind, welche die Wahrheit beständig im Munde führen, ebenso wie nicht diejenigen Mädchen für die unschuldigsten zu gelten Pflegen, welche mit ihrer Reinheit und Keuschheit prunken.

Indessen, gehen wir einmal auf die Anschauung Lehmann's ein und folgen wir ihm, wenn er uns in feiner Weise denechten Friedrich aus den echten Ur­kunden" zeigen will, so finden wir, wieder in dem Testament, eine Aeußerung, die zwar nicht in der entstellten Form, wie sie in Folge des Schreibfehlers eines An­deren in Lehmann's Buche erscheint (S. 70), aber nach dem Wortlaut des Originals