Literarische Rundschau.
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über den friedfertigen Charakter der Politik König Friedrich's keinen Zweifel läßt. Der König schreibt (1752): „Was wir auch von einem Kriege für uns erwarten können, mein gegenwärtiges System ist, den Frieden so lange zu verlängern als es mit der Majestät des Staates vereinbar ist („guol gue nou8 xui88lou8 nous Meuärs äs 1a guerro, mou 8M6M6 pr68eut 68t äa prolonZer 1a paix"). Dies war damals, Wie wir sehen, die politische Theorie Friedrich's; hat die Praxis ihr entsprochen? Trotz Lehmann, möchte ich es bejahen.
Ich gehöre keineswegs zu den Bewunderern der auswärtigen Politik König Friedrich's, am wenigsten derjenigen in den Jahren unmittelbar vor dem siebenjährigen Kriege. Was die Zeitgenossen von ihrer Veränderlichkeit und Unzuverlässigkeit Zu tadeln wußten, scheint mir nur zu Wohl begründet. Dem König eignete, neben andern Fehlern, eine unheilvolle Neigung, seine Allianzen zu wechseln oder mindestens in ein bestehendes Bundesverhältniß fremdartige Bestrebungen hineinzutragen, welche es nothwendig zersetzen und auflösen mußten. So hat er sich die letzten Jahre seiner Regierung verbittert durch ein im Wesentlichen selbstverschuldetes Zerwürsniß mit Rußland, aus dessen Allianz von 1764—1780 das System der preußischen Politik sest und sicher geruht hatte. Aehnlich vor dem siebenjährigen Kriege. Um die Mitte des vorigen Jahrhunderts stand König Friedrich im Bündniß mit Frankreich; es deckte ihn gegen die Feindschast Oesterreichs und hatte im Jahre 1749 genügt, um den drohend erhobenen Arm Rußlands sinken zu machen. Allein im Jahre 1755 kam es zwischen England und Frankreich zu dem großen Kriege, der über den germanischen Charakter Nordamerikas entschieden hat, der „guorrs ckes morluebW", dem Stockfischkrieg, wie Friedrich ihn in spottendem Aerger genannt hat. Friedrich stand vor einer ernsten Entscheidung: er saßte den falschesten Entschluß, den er nach menschlichem Bedünken hat treffen können. In der Besorgnis), als Verbündeter Frankreichs in den Krieg verwickelt zu werden, gefährdet durch einen Angriff des mit England Verbündeten Rußland, schloß König Friedrich am 16. Januar 1756 mit England den Neutralitäts-Vertrag von Westminster, durch den er Frankreich nicht zu verlieren fürchtete, Wohl aber das von England, wie er meinte, ganz abhängige Rußland zu gewinnen und damit zugleich Oesterreich den zur Führung eines Krieges unerläßlichen Bundesgenossen zu entziehen hoffte. In jeder, schlechterdings jeder dieser Berechnungen hat sich König Friedrich getäuscht. Er verlor Frankreich, das am 1. Mai 1756 mit Oesterreich den Vertrag von Versailles einging; er gewann Rußland nicht, das sich von England trennte und sich fester als je zu einem gemeinsamen Angriff auf Preußen mit Oesterreich Verbündete. Das Ziel der Politik des Grasen Kaunitz war damit fast erreicht, die große Koalition gegen Friedrich so gut wie geschlossen.
Man mag diese Politik, die durch ihre Ergebnisse sich richtet, ungeschickt schelten: kriegslustig war sie nicht. Lehmann zwar wendet ein, König Friedrich selbst habe damals wiederholt zum Kriege gereizt: die Türken durch Frankreich Zu einem Angriff auf Rußland oder Oesterreich (1752, 1753), die Franzosen selbst zu einem Einsall in Hannover (1755). Alles das ist zweifellos, beweist aber doch nur, daß der König die in Europa durch die aggressive Politik Rußlands und Oesterreichs herrschende Spannung anderswo als aus seine Kosten zur Auslösung bringen wollte; nimmermehr folgt, ohne andere Beweise, daraus, daß er selbst sich in einen Krieg zu stürzen dachte. Jene Rathschläge waren nur Schachzüge in einem Kampfe, Lei dem wahrlich nicht König Friedrich der Angreifer war. Lehmann spottet, daß Friedrich dabei immer behauptet habe, einen allgemeinen Krieg verhüten zu wollen; er meint, „man lösche ein Feuer doch nicht dadurch aus, daß man ihm neue Nahrung gebe" ; richtiger wäre es vielleicht, wenn man bei jener Politik des Königs, um in der Nähe von Lehmann's Gleichuiß zu bleiben, an den alten Bauernvers erinnern wollte: „Ich bitt' Dich, heiliger Florian, verschon' mein Haus, zünd'
andere an." Friedrich's Politik vor dem siebenjährigen Kriege war keine in „ihrer Stärke ruhende Friedenspolitik", wie Sybel kürzlich Bismarck's Politik vor dem