Heft 
(1894) 82
Seite
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Literarische Rundschau.

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er sie auf die gerade vollzogene, alle drei Jahre wiederkehrende Ablösung der böhmischen Regimenter zurücksührte (21. und 29. Juni). Aber das war einmal der Unsegen der Lage, die König Friedrich selbst geschaffen hatte: wo zwei fremde Staatsmänner die Köpfe zusammensteckten, vermuthete er das Werden einer Koa­lition ; wo er von Truppenmärschen hörte, argwöhnte er einen Angriff aus Preußen.

Man vergegenwärtige sich des Königs Lage. Er mußte fühlen, daß die über­legene Staatskunst eines großen Gegners ihn wie mit einem Netze enger und enger umzog, das ihn zu fesseln, zu ersticken drohte. Vergebens hatte er sich der gefährlichen Umschlingung durch diplomatische Windungen zu entziehen gesucht: was der Feder mißlungen, dachte er jetzt mit dem Schwerte zu erreichen. Er ahnte nicht die Größe der Gefahr, die er gerade hierdurch erst herausbeschwor; er unter­schätzte die Stärke der Gegner. Er mochte hoffen, Oesterreich im raschen Anlauf überwältigen, Rußland zurückwersen und zum Frieden zwingen, die Koalition im Werden ersticken zu können. Wir wissen heute, daß Friedrich's Berechnung auch diesmal falsch war; es ist müßig und unfruchtbar, darüber zu streiten, ob es ohne die Rüstungen Friedrich's zum Kriege gekommen wäre, und man mag immerhin Lehmann zugeben, daß gerade erst der Angriff des Königs das lockere Vertrags- verhältniß zwischen Oesterreich, Frankreich und Rußland zu einem festgefchlossenen Bunde gestaltet hat.

Zweifelhafter erscheint es aber, ob Lehmann Recht hat, wenn er versichert, bei alledem fei König Friedrich in diesen Tagendurchaus guter Dinge" gewesen (S. 76). Ich kann das nicht finden, nicht bloß weil Eichel inmitten der Krisis in seinem schauderhaftesten Deutsch an Podewils schreibt:Es ist aber nicht ohne, daß die jetzigen Aspecten überall die fürchterlichsten und epineusesten feind, worüber Ew. Excellenz Sich des Königs Majestät Beunruhigung gar leicht vorstellen werden" (14. Juli 1756). Auch schon in den Anfängen der Krisis, im Juni 1756, bei den ersten beunruhigenden Meldungen kann man sehen, wie aus den Briefen der Politischen Korrespondenz" das sorgenvolle Antlitz des Königs herausschaut. Wie dringend, fast ängstlich verlangt er auf allen Seiten nach raschen und zuverlässigen Nachrichten über die ihm unerklärlichen Vorgänge in der europäischen Diplomatie, besonders die Annäherung Frankreichs und Rußlands; den Vertreter Englands im Haag läßt er bitten, er möge doch durch die Frau des dortigen russischen Gesandten Ziel und Zweck der russischen Rüstungen zu erfahren suchen (22. Juni). Seinen Gesandten in Paris mahnt er in ernsten Worten:Ich hoffe von Ihrer Treue, von Ihrem bewährten Eifer für meine Interessen, daß Sie alle Ihre Sorgfalt und alle Ihre Geschicklichkeit anwenden, um sich gute Nachrichten zu verschaffen" (19. Juni). Wie anders damals, als er im December 1740 auszog, um Schlesien zu erobern! Welch' frischer und fröhlicher Sinn lebt in den kecken Briefchen, die er damals, beimUeberschreiten des Rubicon" an den treuen Podewils richtete (Politische Korrespondenz I, 147 und 148). Ich will damit nicht sagen, daß nicht auch 1756 den König ein hohes und stolzes Gefühl beseelte, als er dem drohenden Angriff durch den Einfall in Sachsen mit kühnem und freiem Entschlüsse zuvorkam. Es mochte ihm Wohl werden, als er die Feder mit dem Schwert vertauschte, den siegreichen Degen von Soor und Hohensriedberg wieder in seiner Hand fühlte. Und wenn er dann den Krieg kommen sah, drohend und unabwendbar, Wohl mochten da feinem feurigen Geiste nach glänzenden Siegen auch lockende Bilder von Eroberungen erscheinen: er hat, das ist sicher, die Erwerbung Westpreußens für möglich gehalten, an die von Sachsen vielleicht gedacht. Nimmermehr aber, und daraus allein kommt es an, waren es diese Wünsche und Möglichkeiten, die ihm das Schwert in die Hand drückten. Die Absichten des Königs aus Gebiets­erwerbungen, wie sie jetzt und während des Krieges hervortreten, waren Folge, nicht Ursache des ausbrechenden Krieges. Es bleibt vielmehr dabei: es waren die diplomatischen und militärischen Vorbereitungen der Gegner, es waren wirkliche oder