Heft 
(1894) 82
Seite
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Esst Briest.

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er nicht allzu viel, aber die Frau, die Frau! Er konnte sich nicht beruhigen, und zuletzt brach der kleine Mann in Thränen aus. Was Alles vorkommt. Es wäre zu wünschen, daß es mehr Gieshübler gäbe. Es gibt aber mehr Andere. Und dann die Scene im Hause des Majors . . . furchtbar. Kein Wort davon. Man hat wieder 'mal gelernt: aufpassen. Ich sehe Sie morgen. Ihr W."

Jnnstetten war ganz erschüttert, als er gelesen. Er setzte sich und schrieb seinerseits ein paar Briefe. Als er damit zu Ende war, klingelte er: Johanna, die Briefe in den Kasten."

Johanna nahm die Briefe und wollte gehen.

. . . Und dann, Johanna, noch eins: die Frau kommt nicht wieder. Sie werden von Anderen erfahren, warum nicht. Annie darf nichts wissen, wenigstens jetzt nicht. Das arme Kind. Sie müssen es ihr allmälig bei- bringen, daß sie keine Mutter mehr hat. Ich kann es nicht. Aber machen Sie's gescheidt. Und daß Roswitha nicht Alles verdirbt."

Johanna stand einen Augenblick ganz wie benommen da. Dann ging sie ans Jnnstetten zu und küßte ihm die Hand.

Als sie wieder draußen in der Küche war, war sie von Stolz und Ueber- legenheit ganz erfüllt, ja beinahe von Glück. Der gnädige Herr hatte ihr nicht nur Alles gesagt, sondern am Schlüsse auch noch hinzugesetztund daß Roswitha nicht Alles verdirbt". Das war die Hauptsache, und ohne daß es ihr an gutem Herzen und selbst an Theilnahme mit der Frau gefehlt hätte,

beschäftigte sie doch, über jedes andere hinaus, der Triumph einer gewissen

Jntimitätsstellung zum gnädigen Herrn.

Unter gewöhnlichen Umständen wäre ihr denn auch die Herauskehrung und Geltendmachung dieses Triumphes ein Leichtes gewesen, aber heute traf sich's so wenig günstig für sie, daß ihre Rivalin, ohne Vertrauensperson ge­wesen zu sein, sich doch als die Eingeweihtere zeigen sollte. Der Portier unten hatte nämlich, so ziemlich um dieselbe Zeit, wo dies spielte, Roswitha in seine kleine Stube hineingerufen und ihr gleich beim Eintreten ein Zeitungs­blatt zum Lesen zugeschoben.Da, Roswitha, das ist 'was für Sie; Sie

können es mir nachher wieder 'runter bringen. Es ist bloß das Fremden­

blatt; aber Lene ist schon hin und holt das Kleine Journal. Da wird Wohl schon mehr drin stehen; die wissen immer Alles. Hören Sie, Roswitha, wer so was gedacht hätte."

Roswitha, sonst nicht allzu neugierig, hatte sich doch nach dieser Ansprache io rasch wie möglich die Hintertreppe hinauf begeben und war mit dem Lesen gerade fertig, als Johanna dazu kam.

Diese legte die Briefe, die ihr Jnnstetten eben gegeben, auf den Tisch, berflog die Adressen oder that wenigstens so (denn sie wußte längst, an wen sie gerichtet waren) und sagte mit gut erkünstelter Ruhe:Einer ist nach Hohen-Cremmen."

Das kann ich mir denken," sagte Roswitha.

Johanna war nicht wenig erstaunt über diese Bemerkung.Der Herr schreibt sonst nie nach Hohen-Cremmen."

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