Heft 
(1894) 82
Seite
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Effi Briest.

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Ja, das war schlimm genug. Aber als ich da auf dem Kirchhof faß, fo ganz arm und verlassen, das war doch noch schlimmer. Und da kam die gnädige Frau. Und ich will nicht selig werden, wenn ich das vergesse."

Und dabei stand sie auf und ging aufs Fenster zu.Sehen Sie, gnädige Frau, den müssen Sie doch auch noch sehen."

Und nun trat auch Effi heran.

Drüben, auf der anderen Seite der Straße, saß Rollo und sah nach den Fenstern der Pension hinauf.

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Wenige Tage danach bezog Effi, von Roswitha unterstützt, ihre Wohnung in der Königgrätzerstraße, darin es ihr von Anfang an gefiel. Umgang fehlte freilich, aber sie hatte während ihrer Pensionstage von dem Verkehr mit Menschen so wenig Erfreuliches gehabt, daß ihr das Alleinsein nicht schwer fiel, wenigstens anfänglich nicht. Mit Roswitha ließ sich allerdings kein ästhe­tisches Gespräch führen, auch nicht mal sprechen über das, was in der Zeitung stand, aber wenn es einfach menschliche Dinge betraf und Effi mit einem ,ach Roswitha, mich ängstigt es wieder. . ? ihren Satz begann, dann wußte die treue Seele jedesmal gut zu antworten und hatte immer Trost und meist auch Rath.

Bis Weihnachten ging es vorzüglich; aber der Heiligabend verlief schon recht traurig, und als das neue Jahr herankam, begann Effi ganz schwer- müthig zu werden. Es war nicht kalt, nur grau und regnerisch, und wenn die Tage kurz waren, so waren die Abende desto länger. Was thun? Sie las, sie stickte, sie legte Patience, sie spielte Chopin, aber diese Nocturnes waren auch nicht angcthan, viel Licht in ihr Leben zu tragen, und wenn Ros­witha mit dem Theebrett kam und außer dem Theezeug auch noch zwei Tellerchen mit einem Ei und einem in kleine Scheiben geschnittenen Wiener Schnitzel auf den Tisch setzte, sagte Effi, während sie das Pianino schloß: Rücke heran, Roswitha. Leiste mir Gesellschaft."

Roswitha kam denn auch.Ich weiß schon, die gnädige Frau haben wieder zu viel gespielt; dann sehen Sie immer so aus und haben rothe Flecke. Der Geheimrath hat es doch verboten."

Ach Roswitha, der Geheimrath hat leicht verbieten, und Du hast es auch leicht, all' das nachzusprechen. Aber was soll ich denn machen? Ich kann doch nicht den ganzen Tag am Fenster sitzen und nach der Christuskirche hin­übersehen. Sonntags, beim Abendgottesdienst, wenn die Fenster erleuchtet sind, sehe ich ja immer hinüber; aber es hilft mir auch nichts, mir wird dann immer noch schwerer ums Herz."

Ja, gnädige Frau, dann sollten Sie mal hineingehen. Einmal waren Sie ja schon drüben."

O schon öfters. Aber ich habe nicht viel davon gehabt. Er predigt ganz gut und ist ein sehr kluger Mann, und ich wäre froh, wenn ich das Hundertste davon wüßte. Aber es ist doch Alles bloß, wie wenn ich ein Buch lese; und wenn er dann so laut spricht und herumficht und seine schwarzen Locken schüttelt, dann bin ich aus meiner Andacht heraus."

Deutsche Rundschau. XXI, 6.

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