Heft 
(1894) 82
Seite
340
Einzelbild herunterladen

340

Deutsche Rundschau.

Damit brach das Gespräch ab und wurde auch nicht wieder ausgenommen. Aber Effi, wenn sie's auch vermied, grade über Annie mit Roswitha zu sprechen, konnte die Begegnung in ihrem Herzen doch nicht verwinden und litt unter der Vorstellung, vor ihrem eigenen Kinde geflohen zu sein. Es quälte sie bis zur Beschämung, und das Verlangen nach einer Begegnung mit Annie steigerte sich bis zum Krankhaften. An Jnnstetten schreiben und ihn darum bitten, das war nicht möglich. Ihrer Schuld war sie sich voll bewußt, ja, sie nährte das Gefühl davon mit einer halb leidenschaftlichen Geslissentlichkeit^ aber inmitten ihres Schuldbewußtseins fühlte sie sich andererseits auch von einer gewissen Auflehnung gegen Jnnstetten erfüllt. Sie sagte sich: er hatte Recht und noch einmal und noch einmal, und zuletzt hatte er doch Unrecht. Alles Geschehene lag so weit zurück, ein neues Leben hatte begonnen, er hätte es können verbluten lassen, statt dessen verblutete der arme Crampas.

Nein, an Jnnstetten schreiben, das ging nicht; aber Annie wollte sie sehen und sprechen und an ihr Herz drücken, und nachdem sie's tagelang überlegt hatte, stand ihr fest, wie's am besten zu machen sei.

Gleich am andern Vormittage kleidete sie sich sorgfältig in ein decentes Schwarz und ging aus die Linden zu, sich hier bei der Ministerin melden zu lassen. Sie schickte ihre Karte hinein, aus der nur stand: Effi v. Jnnstetten geb. v. Briest. Alles andere war sortgelassen, auch die Baronin.Excellenz lassen bitten," und Effi folgte dem Diener bis in ein Vorzimmer, wo sie sich niederließ und trotz der Erregung, in der sie sich befand, den Bilderschmuck an den Wänden musterte. Da war zunächst Guido Reni's Aurora, gegenüber aber hingen englische Kupferstiche, Stiche nach Benjamin West, in der be­kannten Aquatinta-Manier von viel Licht und Schatten. Eins der Bilder war König Lear im Unwetter auf der Haide.

Effi hatte ihre Musterung kaum beendet, als die Thür des angrenzenden Zimmers sich öffnete, und eine große schlanke Dame von einem sofort für sie einnehmenden Ausdruck aus die Bittstellerin zutrat und ihr die Hand reichte. Meine liebe, gnädigste Frau," sagte sie,welche Freude für mich. Sie wieder­zusehen . . ."

Und während sie das sagte, schritt sie auf das Sopha zu und zog Effi, während sie selber Platz nahm, zu sich nieder.

Effi war bewegt durch die sich in Allem aussprechende Herzensgüte. Keine Spur von Ueberheblichkeit oder Vorwurf, nur menschlich schöne Theilnahme. Womit kann ich Ihnen dienen?" nahm die Ministerin noch einmal das Wort.

Um Effi's Mund zuckte es. Endlich sagte sie:Was mich herführt, ist

eine Bitte, deren Erfüllung Excellenz vielleicht möglich machen. Ich habe eine zehnjährige Tochter, die ich seit drei Jahren nicht gesehen habe und gern Wiedersehen möchte."

Die Ministerin nahm Effi's Hand und sah sie freundlich an.

Wenn ich sage, in drei Jahren nicht gesehen, so ist das nicht ganz richtig. Vor drei Tagen habe ich sie wiedergesehen." Und nun schilderte Effi mit großer Lebendigkeit die Begegnung, die sie mit Annie gehabt hatte.Vor meinem eigenen Kinde aus der Flucht. Ich Weiß Wohl, man liegt, wie man