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Deutsche Rundschau.
Schein der Dinge nicht viel heraus, und das, was man „das Glück" nenne, wenn's überhaupt epistire, sei 'was Anderes als dieser Schein. „Das Glück, wenn mir recht ist, liegt in zweierlei: darin, daß man ganz da steht, wo man hin gehört (aber welcher Beamter kann das von sich sagen), und znm zweiten und besten in einem behaglichen Abwickeln des ganz Alltäglichen, also darin, daß man ausgeschlafen hat und daß einen die neuen Stiefel nicht drücken. Wenn einem die 720 Minuten eines zwölsstündigen Tages ohne besonderen Aerger vergehen, so läßt sich von einem glücklichen Tage sprechen." In einer Stimmung, die derlei schmerzlichen Betrachtungen nachhing, war Jnnstetten auch heute wieder. Er nahm nun den zweiten Brief. Als er ihn gelesen, fuhr er über seine Stirn und empfand schmerzlich, daß es ein Glück gäbe, daß er es gehabt, aber daß er es nicht mehr habe und nicht mehr haben könne.
Johanna trat ein und meldete: „Geheimrath Wüllersdorf."
Dieser stand schon auf der Thürschwelle. „Gratulire, Jnnstetten."
„Ihnen glaub' ich's; die Anderen werden sich ärgern. Im klebrigen . . ."
„Im klebrigen. Sie werden doch in diesem Augenblicke nicht kritteln Wollen."
„Nein. Die Gnade Sr. Majestät beschämt mich, und die wohlwollende Gesinnung des Ministers, dem ich das Alles verdanke, fast noch mehr."
„Aber ..."
„Aber ich habe mich zu freuen verlernt. Wenn ich es einem Anderen als Ihnen sagte, so würde solche Rede für redensartlich gelten. Sie aber, Sie finden sich darin zurecht. Sehen Sie sich hier um; wie leer und öde ist das Alles. Wenn die Johanna eintritt, ein sogenanntes Juwel, so wird mir angst und bange. Dieses Sich-in-Scene-setzen (und Jnnstetten ahmte Johanna's Haltung nach), diese halb komische Büstenplastik, die wie mit einem Specialanspruch auftritt, ich weiß nicht, ob an die Menschheit oder an mich — ich finde das Alles so trist und elend, und es wäre zum Todtschießen, wenn es nicht so lächerlich wäre."
„Lieber Jnnstetten, in dieser Stimmung wollen Sie Ministerialdirector werden?"
„Ah, bah. Kann es anders sein? Lesen Sie; diese Zeilen habe ich eben bekommen."
Wüllersdorf nahm den zweiten Brief mit dem unleserlichen Poststempel, amüsirte sich über das „Wohlgeboren" und trat dann ans Fenster, um bequemer lesen zu können.
„Gnäd'ger Herr! Sie werden sich Wohl am Ende Wundern, daß ich Ihnen schreibe, aber es ist wegen Rollo. Anniechen hat uns schon voriges Jahr gesagt: Rollo wäre jetzt so faul; aber das thut hier nichts, er kann hier so faul sein wie er will, je fauler je besser. Und die gnäd'ge Frau möchte es doch so gern. Sie sagt immer, wenn sie ins Luch oder über Feld geht: ,Jch fürchte mich eigentlich, Roswitha, weil ich da so allein bin; aber wer soll mich begleiten? Rollo, ja, das ginge; der ist mir auch nicht gram. Das ist der Vortheil, daß sich die Thiere nicht so drum kümmern? Das sind die Worte der gnäd'gen Frau, und weiter will ich nichts sagen, und den gnäd'gen Herrn