Heft 
(1894) 82
Seite
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Deutsche Rundschau.

Packen einmal der Zorn, den du jetzt hegst,

Unglücksheld! Wer wird in aller Zukunft Freudig deiner gedenken, wenn du den Deinen Heute nicht hilfst, wo Hülfe vielleicht zu spät kommt Unbarmherziger, wer hat dich geboren?

Vater und Mutter hast du nie gehabt!

Dich hat das finstre Meer und das unerklimmbare Felfengebirge gezeugt, so gefühllos bist du!

Fürchtest du aber die Götter zu beleidigen,

Oder hat deine Mutter dir auvertraut,

Daß ein Befehl des Zeus dir den Kampf verbiete,

Nun, so sende mich vor mit den Myrmidonen,

Ob ich den Griechen zum leuchtenden Siege verhelfe,

Deine Rüstung lege mir um die Schultern,

Daß im Wahne, Du seist es, die Troer Weichen,

Und die Griechen ein weniges Athem schöpfen;

Leicht auch drängen wir, die wir frisch in den Kampf gehn,

Aus dem Lager die Troer hinweg nach Ilion.

Achill's Rede wird erst verständlich, wenn wir den Fortgang des Ge­spräches kennen lernen. Zu bedenken ist, daß es sich in der Ilias nicht um das Zurvernunstkommen eines Mannes handelt, der beleidigtem Ehrgeize zu sehr nachgab, sondern daß Achill's Leiden als eine Krankheit zu fassen ist, deren Heilung nur durch furchtbare Ereignisse möglich wird. Die im fünf­zehnten Gesänge erzählte Aussendung des Patroklos erscheint, so betrachtet, als ein erstes leises Zeichen der eintretenden Gesundung. Sie hatte doppelten Sinn: Bericht wollte Achill empfangen über das endlich zur Wahrheit werdende Zugrundegehen der Griechen. Nicht ihre Rettung aber, sondern ihren Untergang verlangte er zu vernehmen, damit sie Hülfe suchend seine Knie umklammerten. Im Grunde seiner Seele aber war trotzdem das nationale Gefühl zugleich er­wacht, das er erstickt zu haben glaubte.

Das Natürlichste wäre für ihn gewesen, bei Patroklos' Erscheinen die letzte Frage zuerst zu thun. Aber, als fürchte er sich vor der Antwort, nimmt er den Schein an, als erinnere er sich nicht mehr, warum er Patroklos aussandte, redet sich in einen spöttischen Ton hinein und thut dann, als mißbillige er selbst seine Art, die Frage nach dem Tode des Vaters. Zuletzt erst nennt er die Griechen.

Und nun Patroklos, den wir bis dahin als den fügsamen, wortkargen, das eigne Gefühl fast verleugnenden Mann kennen lernten: Uchill's, seinem Herzen unerträgliche Art bringt die innere Empörung zum Ausbruch, die er bis dahin in sich verschlossen hatte. Gemäßigt beginnt er, um zu einer An­klage dann überzugehen, die beide Genossen trennen müßte, ließe Achill, dem ja stets vor Augen steht, daß es sich um das Herannahen seines eignen Unter­ganges handle, irgendwie ein Echo der Worte des Patroklos in sich lebendig werden. Ich habe beide Reden, die viel wortreicher und mehr im Tone des Gespräches gehalten sind und die auch Voß in voller Breite übersetzte, zusammen­gezogen, da der volle Ton des homerischen Wortstromes mir an dieser Stelle