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Deutsche Rundschau.
ihrer Führer, unter ihnen der „graue reisige Phönix", der die vierte Rotte befehligt. Die Vorgänge haben etwas in unserem Sinne Militärisches. Nun redet Achill seine Myrmidonen an. Nun treten sie an. Nun geht Achill, den neuen, unberührten, kostbaren Becher den schützenden Decken zu entnehmen, den seine Mutter ihm mitgab als er auszog, und nun bereitet er dem Zeus das Opfer und erfleht Segen und Siegesruhm für den in den Kampf ziehenden Freund. Herrliche ergreifende Worte, allgemein menschliche Gedanken. Schon einmal aber hat Homer angedeutet, welches Unheil auf Patroklos laure, und setzt spricht er es offen aus. Eine Bedingung, sahen wir, ist es, unter der allein Patroklos wiederkehren wird, eine Frage der Disciplin: daß er, nachdem er die Troer aus dem Lager gescheucht, unverzüglich zu Achill zurück sich wende. Sobald in einer Dichtung solche Warnungen ausgesprochen werden, wissen wir im Voraus, daß sie unbeachtet bleiben. Daß Patroklos sich sortreißen lasse und nie wiederkehre, wird als Zeus' Rathschluß jetzt in wenig Versen gesagt. Wenige Worte auch genügen dem Dichter, um ergreifend uns vor Augen zu bringen, wie Achill, vor seinem Zelte stehend, den Verlauf des Kampfes aus der Ferne ansieht.
Bemerken wir, wie sehr es Homer versteht, den Verlaus des Geschehenden, so seltsam er sei, als den natürlichen hinzustellen. Achill beginnt jetzt schon ein Wesen anzunehmen, als gehörte er nicht mehr zu den wandelnden Menschen. Als fange er an, sich in Geist auszulösen. Wir fragen nicht, warum er den Freund denn nicht begleite, nicht um der Troer oder Griechen willen, sondern um ihn selbst vor dem Unheil bewahrt zu wissen, dessen Eintreffen er ahnte. Wir stellen überhaupt, was Achill's Thun angeht, keine Fragen mehr, die menschlichen Maßstab bei ihm anzulegen nöthigten. Ich erinnere daran, wie sehr wir dies in den letzten Gesängen der Nibelungen bei Krimhild und Hagen verlernen. Wir fühlen, es waltet ein Zwang, daß die Schicksale dieser Menschen, die das Menschliche abstreifen, zum Austrage kommen. An Stelle irdischer Schwäche (die bei Shakespeare's Coriolan so schön eintritt, als die Mutter vor ihm auf den Knieen liegt) und des göttlichen Erbarmens, das die Dinge zum Guten wendet, greift das unerbittliche Schicksal nach der Geißel, um die von ihm zum Opfer Auserkorenen ihre Straße weiterzupeitschen.
Stimmungen dieser Art brechen aber doch nur in Momenten vor. Die Parade und der Auszug der Myrmidonen und das Eingreifen in die Schlacht hat etwas Freudiges, Festliches. Prachtvoll werden die einzelnen Thaten des Patroklos geschildert. Zugleich der Schrecken, der die Troer ergreift; wie der Beginn ihrer Flucht eintritt; wie sie immer Wilder wird; wie auch Hektor der Stadt zuslüchtet, und Patroklos, ihnen dicht auf den Fersen, einen Theil der troischen Masse abschneidet und niedermacht. Ganze Reihen aus- gesührter Vergleiche beleben die Schilderung, breitausgesponnene Naturscenen, als wolle der Dichter jetzt erst seinen Vorrath an Bildern in voller Fülle aus- schütten; wir selbst vergessen im Taumel des Sieges Achill's Warnung und sein dringendes Gebot, sich an der Rettung des Lagers genügen zu lassen. Wir bemerken nicht, daß es von Patroklos längst überschritten war. Vogel- frei ist er dem Untergänge schon verfallen, und nur der Gelegenheit bedarf es,