Der Tod des Patroklos.
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ihn zu Sturz zu bringen. Dies nun wieder in wundervoller Weise durch eine herrliche Episode herbeigeführt, die der Dichter in sein Werk einslicht. Wir erinnern uns des Zeuserzeugten Sarpedon. Könnten irgendwo einzelne Theile der Ilias den Gedanken aussteigen lassen, wir hätten es mit eingefügten Stücken nebenherlaufender Dichtungen zu thun, so dürften uns die Sarpedon's Schicksal enthaltenden Verse dazu verleiten. Roh zusammengenommen schon, so wie die Ilias sie enthält, klingen sie wie ein für sich bestehender Gesang. Ich sprach schon davon: eigentümlich lyrischen Klang nimmt die Sprache an, in der sie gehalten sind. Als gehörte eine von Gluck erfundene Musik zu ihnen, während die anderen Theile der Ilias an Händel erinnern. Aber sie würden, nähmen wir die Episoden des Sarpedon aus ihrer Umgebung heraus, so daß diese Stücke allein neben einander ständen, ein Theil dieses zart klagenden Gesangtones verlieren, der durch den Gegensaß des Tones gegen das klebrige bewirkt wird. Schon dies spräche gegen einen als alleinbestehend zu denkenden, dem Sarpedon geweihten Hhmnos. Was diesen Gedanken völlig aber zurückdrängte, ist die Beobachtung, wie wichtig jeder der Sarpedon betreffenden Theile der Ilias an seiner Stelle für die übrigen Theile sei. Um Patroklos willen, damit für dessen Hinsinken gleichsam die einleitende Ouvertüre geschaffen werde, läßt seinem Tode Homer hier den des Sarpedon vorausgehen, als ein Zeichen des Verhängnisses, das Zeus nicht zu ändern vermag.
An Schönheit und Tiefe entspricht der Tod des Sarpedon der früher diesem Helden geweihten Darstellung seiner Wiedererweckung. Wir dürfen uns Homer gegenüber auf den Punkt der festen Erwartung stellen, daß seine Dichtung an keiner Stelle Theile geringeren Werthes enthalte. Seine Selbstkritik stand auf gleicher Höhe mit seiner Schöpferkraft. Auch ist daran fortwährendes Ansteigen innerhalb seiner Werke zu empfinden. Darin steht nur Goethe Homer gleich, dessen spätere vollendete Werke im Schlüsse ihr Schönstes geben. So meist auch Schiller. Nicht überall Shakespeare; auch die griechischen Tragiker für unser Gefühl meistens nicht. Die Sarpedon betreffende Episode zeichnet sich durch die Ausdehnung aus. Um so auffallender wirkend, als Sarpedon's Charakter für die Ilias nichts bedeutet. Hütte der Dichter durch eine gewisse persönliche Theilnahme für den in so zart idealen Linien von seiner Hand gezeichneten Helden sich weitersühren lassen, als er wollte? Nicht unmöglich. Die Gestalten einer Dichtung gewinnen endlich eine gewisse Macht über den Dichter. Goethe hat gestanden, wie es ihm im Götz mit der Adelheid erging, in die er sich selbst verliebte, so daß er sie verführerischer gestaltete als der Plan des Stückes erlaubte. Ehe Zeus zum Entschluß kommt, Sarpedon jetzt untergehen zu lassen, findet zwischen ihm und Here eine theoretische Discussion statt. Zeus will seinen Liebling wiederum erretten. Here macht ihm klar, welche Folgen dies im Allgemeinen für die olympischen Verhältnisse haben müsse in Betreff der übrigen Götterkinder, für welche einzutreten den Anderen doch nicht gestattet werde. Zeus sieht dies ein und gibt nach. Dagegen meint Here wieder, es könne durch die Art, wie man, statt Sarpedon selber heil und gesund aus dem Kampfe plötzlich in sein Königreich zu versetzen, seinen Leichnam wenigstens unverletzt dahin entführen lasse, ein ehrenvoller Ersatz für das ver-