Heft 
(1894) 82
Seite
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Deutsche Rundschau.

lorene Leben geschaffen werden. Und fo geschieht es denn. Sarpedon unter­liegt. Apoll aber trägt den Gefallenen, um den wüthend gekämpft worden war. an das Ufer des Skamandros, wo er gewaschen und mit Frische neu begabt wird, als sei ihm nichts geschehen. Dann heben die beiden Brüder Schlaf und Tod ihn empor, um ihn durch die Lüfte nach Lykien davon zu führen. Wir wissen, wie die bildende Kunst der Griechen dieser Scene sich be­mächtigte, auf deren Darstellung endlich die des Begräbnisses Christi zurückging.

Bei Sarpedon's Schicksal wiederholt sich in uns die Empfindung, wie das kleinasiatische Reich des Priamus auf inneren Frieden angelegt war. Sarpedon ist stark, wie die Troer überhaupt den Griechen an körperlicher Kraft nicht nachstehen, aber er ist nicht kriegerisch von Natur. Schon bei den Griechen zeigte sich, wie ihr eigentliches Dasein friedlicher Art war; immer wieder sind es die Götter, die Troer und Griechen in den Kampf Hetzen. In weit höherem Maße aber beruhte Priamos' Herrschaft auf bürgerlicher Lebensarbeit.

Nach Sarpedon's Falle bleibt übrig, daß Hektor und Patroklos ihre Kräfte messen. Zeus aber entscheidet, daß Hektor, anfangs flüchtig ausweichend, sich der Stadt zuwenden solle, damit Patroklos, so recht in sein Verderben hinein­gelockt, bis auf das Aeußerste den Befehlen des Achill zuwiderhandle. So weit kommt es, daß die Versuche der Griechen, unter Patroklos' Führung die Mauern der Stadt zu ersteigen, fast von Erfolg gekrönt worden wären, hätte Apoll dem Zögern Hektor's nicht ein Ende gemacht, dessen Kampf mit Patroklos um den Leichnam des von diesem mit einem Steinwurfe getödteten Wagenlenkers Kebriones zu einer gewaltigen Scene sich gestaltet.

Auf Patroklos' Untergang sind wir nun vorbereitet. Wir fühlen, daß er nicht im Einzelkampfe fallen dürfe, sondern wie Siegfried über das Besiegt­werden erhaben sei. Und so muß ein Gott eintreten, dessen mächtige Hand ihn unfähig macht, dem Tode auszuweichen. Dreimal hat Patroklos sich in die Troer hineingestürzt, neun Männer jedesmal erschlagen, zum vierten Male will er den Angriff wiederholen, als, ungesehen, weil er sich in Nacht hüllt, Apoll von der Rückseite sich naht und ihm mit der glatt gebreiteten Hand Zwischen die Schultern schlägt.

Der Schlag durchfährt uns!

Apoll ist der Gott der Rache. Der erbarmungslosen, hinterrücks zu­schlagenden Vergeltung: wenn sein Name genannt wird, kommen uns die Scenen zuerst ins Gedächtniß, in denen er sich rächt. Wie er die seinem Priester angethane Schmach zu sühnen, vom Olympos die Pest ins griechische Lager hinabsendet, zeigt ihn der Beginn der Ilias. Mit Artemis rächt er seine Mutter an Niobe und ihren Söhnen. Dies ist der Geist des Apoll von Belvedere, zu dem die Diana von Versailles gehört: beide von gleicher hohn­lächelnder Schönheit. Vielleicht, daß dem Künstler des Apollo von Belvedere nicht die Niobesage oder eine andere allein, sondern alle Apollo enthaltenden Scenen der Ilias und Odyssee vorschwebten. Auch die Odyssee beginnt mit der Rache des Apoll, dem die Leute des Odysseus die Rinder schlachteten. Der wunderbar hämische Zug um den zugleich so göttliche Schönheit athmenden Mund des Apollo von Belvedere findet als Lächeln befriedigten Rachedurstes